09. September 1995 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Stefan Zweig: Briefe 1897-1914

Phantomschmerzen

Der junge Stefan Zweig im Spiegel seiner Briefe

STEFAN ZWEIG: Briefe 1897 – 1914. Hrsg. von Knut Beck, Jeffrey B. Berlin und Natascha Weschenbach-Feggeler. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1995. 560 Seiten, 78 Mark.

Zum Teufel mit der Kunst! Wer Briefe liest, will den Künstler nackt sehen. Vom Hochstand der Stilsicherheit hinaus auf die offenen Lichtungen des Alltags. Was sonst zu Erzählung gerinnt, ist hier Prosa mit beschränkter Haftung. „Mit Briefen“, schreibt Stefan Zweig, „ist’s wohl auch eine Curve im Leben, man liebt sie zuerst, vergißt, verliert sie dann über dem stärkeren gedruckten Wort, aber dann, glaub ich, kommt man wieder zu ihnen zurück.“

Das stärkere gedruckte Wort, so scheint es, hat er allerdings auch als Briefeschreiber weder vergessen noch verloren. So richtig aus der Deckung hat er sich nie begeben, als Sechzehnjähriger sowieso nicht, aber auch später nur selten. Dafür hat er an Max Brod so schöne Sachen geschrieben wie: „Sie können aus der Wirklichkeit in das Blau hineinspringen und ertrinken nicht, sie fallen vom Himmel aufs Pflaster und schlagen sich nicht das Rückgrat entzwei.“

Es liegt in der Natur von solchen Sammlungen, daß immer wieder Trauer die Lektüre begleitet. Eine Art Phantomschmerz befällt den Leser, weil stets das Gegenüber fehlt. Es läßt sich der Eindruck nicht abschütteln, es rufe jemand ins Dunkel und warte vergeblich auf ein Echo. Andererseits beflügelt das auch die Phantasie, vom Ton des Senders auf den Empfänger zu schließen. Am Ende umstellen all die imaginierten Briefpartner wie Spiegel den Schreiber, und irgendwo, im Schnittpunkt all der Reflektionen, entsteht vielleicht das vielfach gebrochene Bild seiner Person. Welches Bild also entwerfen diese Briefe von Stefan Zweig?

Zuerst einmal geht es auf und nieder, immer wieder. Zweifel am Talent wechseln sich mit zaghaftem Selbstvertrauen ab, freudiges Genießen mit lebensmüdem Zaudern. Mal wirft er sich ins Leben, mal in die Literatur, die richtige Balance findet er kaum. Was sich bei alledem nicht ändert, ist Zweigs Fähigkeit, auf die jeweiligen Empfänger einzugehen, sich ihnen anzudienen, um nicht zu sagen, anzubiedern. Seine Gegenüber mußten den Eindruck haben, er habe sich ihnen sozusagen mit Leib und Seele verschrieben. Bei aller gebotenen Höflichkeit tut er manchmal des Guten fast zuviel, wenn er sich etwa bei Schnitzler entschuldigt, daß er ‚gestern mit nur raschem Gruß vorbeigieng‘. Aber so wie es aussieht, konnten sich nicht einmal Rilke und Hesse, die in ihm weniger Talent sahen, als er hoffte, auf Dauer seiner überschwenglichen Zuneigung entziehen. Manch einer, möchte man meinen, hat im Ende einfach vor ihm kapituliert.

Andererseits war genau dies sein Programm: „Denn nur wenn wir uns ganz an Werke hingeben, haben wir Hoffnung, selber einmal ein Ganzes zu werden.‘ Er hat Kontakt mit der literarischen Welt gesucht, um selbst ein Teil davon zu werden. Und er hat vor allem unermüdlich für die Verbreitung der Werke von Emile Verhaeren und Romain Rolland gekämpft, war für sie quasi Übersetzer, Agent und Herausgeber in einem. An seiner Selbstlosigkeit ändert auch die Tatsache nichts, daß er sich in ihnen natürlich auch spiegeln und finden wollte. Hingabe war seine Sache, auch wenn es ihm nicht überall so leicht fiel wie da.

Einem Freund, der sich eine Tochter erhofft, schreibt er voller Verständnis: „Weil Du für den Knaben fürchtest, er könnte sein wie du und ich, zu sensitiv ein voller Genießer zu sein, ein sich Hingebender statt eines Erobernden.“ In der Hingabe erkannte er also durchaus auch Schwäche und Gefahr. Mal hat er „plötzlich so eine Angst vor allen Exstasen und großen Erregungen, weil ich immer kleine Gefühle dahinter fürchte“; mal hat er sich „viel verschwendet ans Leben – nur jenes letzte Überfließen fehlt mir: der Rausch.“ Umso rauschhafter gestaltete er seine Erzählungen und Biographien, immer darauf aus, jenen extatischen Moment zu erhaschen, wenn sich ein ganzes Leben in einer Sternstunde kristallisiert. Oder wenn ein Tropfen genügt, ein Faß unterdrückter Gefühle zum Überlaufen zu bringen. An Julius Bab erkennt er, was ihn selbst treibt: „Jenes Nichtangsthaben vor der Übertreibung, das ich so sehr liebe, weil es das einzig Fruchtbare ist.“

Seine Tagebücher sind zwar um einiges aufschlußreicher, farbiger und lebendiger. Aber all die Briefe aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, also lange vor seinem Weltruhm, zeigen auch den jungen Mann, der nach Einflüssen giert, der nach einer Form sucht, in der seine Gefühle ein Gefäß finden; einen Menschen, der um Kontrolle ringt und ihren Verlust fürchtet; einen, der seinen Platz in der Literatur sucht, aber auch einen Platz für die Literatur in sich selbst. Denn immer wieder mal ist ihm „jede Zimmerbeschäftigung contre Coeur“. Dann haßt er selbst das Geräusch der Feder und den Geruch der Tinte, und es heißt: „Hitze über allen Dächern, Faulheit in den Gliedern, Miessität in allen Gedärmen.“ So nannte man das damals.

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