18. Juni 1998 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Was von den Bildern übrigblieb

Im Fluß der Zeit

Andreas Kilbs gesammelte Kritiken: 
„Was von den Bildern übrigblieb”

Wenn ein Kritiker gut ist, dann finden in seinen Sätzen die Ahnungen, welche Filme im Zuschauer auslösen, einen Ausdruck. Es gibt aber auch Kritiker, die ersetzen das Erlebnis im Kino durch das Vergnügen an ihrem Text. Das eine wie das andere beherrscht Andreas Kilb, dessen Kritiken aus den Jahren 1987 bis 96 für die Zeit jetzt in einer Auswahl vorliegen: „Was von den Bildern blieb”. (Verlag für Berlin-Brandenburg, 232 Seiten, 68 Mark.) Darin finden sich die schönsten Texte, die in jenen Jahren dem Kino gewidmet wurden.

Es beginnt mit einem Nachruf auf Tarkowskij und endet mit dem auf Mastroianni. Ein Abgesang also, ein Rückzugsgefecht, und entsprechend ein Tonfall aus sanfter Melancholie und entschiedener Schärfe. So hat Kilb zwischen dem Kino, das es schreibend zu entdecken galt, und dem, das längst vermessen war, zu einer unverwechselbaren Stimme gefunden. Man kann das Buch an jeder Stelle aufschlagen und wird sofort gefangen, von dem Sog aus Stilsicherheit und Überzeugungskraft. Bei ihm gibt stets ein Wort das andere.

Diese aufreizende Art, die Sätze zu drechseln, bis sie sitzen, wird leicht mit Arroganz verwechselt. Dabei bedeutet das nur, daß Kilb weiß, was er dem Leser, der Zeitung und sich selbst schuldig ist. Man muß sich das als Dreieck denken, in dem jeder hat, was er verdient. Und gerade in der Rückschau erkennt man, wie sehr die Texte auch jenseits des Anlasses Bestand haben. Selbst wenn man selten mit ihm einer Meinung ist.

Man kann sich beim Lesen stets ein anderes Kino denken, jenseits von Kaurismäki, Soderbergh oder Greenaway, irgendwo im Reich der billigeren Vergnügungen, die hier nicht zu Wort kommen. Das ist, wenn man so will, der blinde Fleck in seinen Texten. Die Nachmittagswestern der Kindheit sind nicht unbedingt sein Ding, so wenig wie die late shows der Studententage. Aber die Ahnung, daß das Kino noch etwas anderes sein könnte, schwingt mit, nagt an den Texten und treibt sie womöglich erst voran. Halbe Sachen macht er nicht, sondenr geht immer an den Punkt, wo es weh tut. So wird der Leser gezwungen, selbst Haltung zu beziehen.

Das Glanzstück unter all den Texten ist ein Aufsatz über die Welt des Federico Fellini, der mit der Betrachtung der Wasseruhr im Parco Borghese beginnt, in deren Mechanismus der Fluß der Zeit zum Bild gerinnt. Dann faßt er die Thesen zum Werk des Meisters zusammen und wie sie in ihrer Widersprüchlichkeit ein komplexes Bild ergeben. Schließlich trifft er den Mann und beschreibt seinen neuen Film „Intervista”, um wieder in den Parco Borghese zurückzukehren, wo er verrät, daß die Wasseruhr, deren Mechanismus er anfangs besungen hat, schon seit Jahren nicht mehr funktioniert. Das besitzt eine eigene Schönheit, die mit Filmkritik nichts mehr zu tun hat. Der Text lebt von der Gewißheit, daß es eine Welt jenseits des Kinos gibt, welche die Filme uns zu verstehen lehren. Und daß es immer wieder gilt, diese Erfahrung schreibend zu vermitteln. Das können nur ganz wenige.

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