18. März 1999 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Der Verrat

Gut zu sein, bedarf es wenig

Das tapfere Anwältlein: John Grishams neuer Roman „Der Verrat”

Man mag über Grisham sagen, was man will, aber seine Bücher entwickeln in der Regel einen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Natürlich sind die Charaktere schablonenhaft, die Dialoge spröde, die Plots reißbrettartig – aber schließlich geht es auch um Anwälte. Und das hat ja durchaus einen eigenen Reiz: die smarten Jungs, die alles ihrer Karriere opfern; die großen Kanzleien, die das Recht gepachtet zu haben glauben; die reichen Gesellschaften, die ganz beiläufig über Leichen gehen. Grisham erlaubt dabei Einblicke in eine fremde Welt, die in ihrem blinden Streben und mit ihren starren Regeln dem wirklichen Leben einen Zerrspiegel vorhält. Und gerade die Vorhersehbarkeit eines Romans wie „Der Regenmacher”, in dem ein David den Goliath Schlag um Schlag in die Knie zwingt, überzeugte durch ihre fröhliche Unausweichlichkeit. Und „Der Partner” und „Das Urteil” waren clever ausgedachte Geschichten, die die Hoffnung nährten, Grisham bliebe dem Leser doch immer einen Schritt voraus.

Sein neuer Roman „Der Verrat” ist jedoch ein echter Rückschlag. Grisham möchte, wie alle Superreichen Amerikas, plötzlich Gutes tun – und die Welt davon in Kenntnis setzen. Er hat die Obdachlosenproblematik zum Thema gemacht und schickt seinen Helden – natürlich Anwalt –, der durch eine Geiselnahme unsanft aus seinem Karrieretraum erwacht, auf die Straße, wo er den Menschen wirklich helfen kann. Wer hofft, daß der Plot noch irgendeine Wendung nimmt oder die Geschichte eine Doppelbödigkeit entwickelt, kann lange warten. Grisham verletzt die oberste Regel der Wohltätigkeit: Tue Gutes – aber rede nicht darüber.

JOHN GRISHAM: Der Verrat. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1999. 416 Seiten, 44,90 Mark.

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