05. September 1994 | Spiegel | Literatur, Rezension | Die Toten von Laroque

Lustiger Rattenkampf

Vorspann: Der Frankfurter Dichter Matthias Altenburg gibt sich gern jung und wild - sein jüngstes Buch wirkt jedoch alt und mild.

Starke Worte waren das, als der Autor mit der jüngsten deutschen Literatur abrechnete. In den Kollegen sah er anämische Tränensäcke und luxurierende Trödler, in ihren Werken Püppchen-Prosa und Bübchen-Bücher. Überall das immergleiche Geknorze der immergleichen Flaneure. Langweilig, weltfern. So nannte er das vor zwei Jahren.

Matthias Altenburg hatte damals in einer SPIEGEL-Polemik (Nr. 42/1992) mit dem Feuer gespielt, und der Funke war auch auf die Feuilletons übergesprungen. Aber viel mehr als ein Glimmen war dabei nicht herausgekommen, und der Rauch war schnell verzogen. Hinterher gefiel sich Altenburg in der Pose des Brandstifters, und ließ die taz wissen, das gehöre zu „dem lustigen Rattenkampf, den man als Autor im Medienzeitalter ganz einfach führen muß“. Schließlich hatte er gerade einen Roman geschrieben – und der fand dann auch Beachtung.

Nun ist sein zweites Buch erschienen, „Die Toten von Laroque“ (Eichborn Verlag, Frankfurt; 124 Seiten; 24,80 Mark). Altenburg, 35, will damit das einfangen, was er bei den anderen Autoren immer so vermißt hat: Leben. Ja, das sei „das Leben“, lobte folglich auch die taz, der Rheinische Merkur las immerhin ein „äußerst welthaltiges und tiefgreifendes Charakterbild dieser Zeit vor der Zeitenwende“ aus der Novelle heraus. Und die Neue Zürcher Zeitung befand gar: „Tempo und Farbigkeit reißen den Leser mit“ – das klingt, als sei der Mann seiner eigenen Forderung nachgekommen, das klingt nach Hoffnung in der deutschen Literaturwüste.

Altenburg wird das gefallen, schließlich hatte er mit seiner Schmähschrift gegen Dürre und Ödnis nicht nur zündeln wollen. Wie ein richtiger deutscher Schriftsteller hatte er auch ein Anliegen: Die Autoren, empfahl er, sollten sich schulen „bei jener dicken Mama, die wir uns angewöhnt haben, ,das Leben“ zu nennen“. Heute sagt er eher kleinlaut, er habe bloß für ein bißchen mehr Welthaltigkeit in der deutschen Literatur plädieren wollen: „Es ist doch ermüdend, wenn deutsche Autoren immer nur über deutsche Autoren schreiben.“

Die Alternative stellt sich in seinem zweiten Buch so dar: Ein deutscher Autor schreibt über einen deutschen Lehrer, der einem deutschen Autor ähnelt. Das ist nach allem, was man über deutsche Lehrer weiß, ein bißchen weniger welthaltig, als es nach Altenburgs feurigen Attacken zu erwarten war.
Welthaltig wird diese Geschichte auch dadurch nicht, daß sie in Laroque spielt, einem französischen Küstenort an der Grenze zu Spanien. Was der Lehrer dort sieht und erlebt, ist kaum mehr als das, was man auch sieht, wenn man die Augen zumacht: Sonne und Staub, Boulespieler und Weintrinker, dörfliche Jugend und örtliche Schönheiten. Letzteres vor allem.

Obwohl des Lehrers einziger Vorzug darin zu bestehen scheint, viel Zeit zu haben, sieht er sich im Nu zwischen zwei Frauen, von denen eine ihn sofort mit ins Bett nimmt, die andere hingegen noch etwas warten möchte. So ähnlich war das schon in Boccaccios Novellensammlung „Decamerone“, und so ist es auch, wenn Altenburg eine Novelle schreibt: „Nackt und ohne Scham lief sie vor mir herum…Ich war verwundert, da ich dergleichen bei einer fremden Frau nie erlebt habe, aber es gefiel mir.“

Solche Sätze könnten den Eindruck erwecken, daß Altenburgs Prosa sich nicht allzusehr von den Bübchen-Büchern seiner Feinde unterscheidet. Da sein Held Lehrer ist, neigt er überdies zu anfallartigem Tiefsinn, fühlt sich mal angesichts betender Frauen „schwach genug, sie um ihren Glauben zu beneiden“, um dann wieder vor den Bildern eines Malers zu denken, „ein Mensch, der sie einmal gesehen hat, müsse für alle Zeit unfähig sein, etwas Böses zu tun“. Der Mann ist also ein Mensch wie du und ich und hat es deshalb auch nötig, sich vor deutschen Touristen am Nachbartisch taubstumm zu stellen.

Was den Helden angeht, von dem man nur den Nachnamen Schäfer erfährt, ist das Buch also nicht etwa welthaltig, sondern völlig konturlos. Während die Zeit in dem Örtchen Laroque verrinnt, zerrinnt auch jede Hoffnung darauf, etwas anderes als einen Mann ohne Eigenschaften kennenzulernen.

Und seine Gemütslage pendelt sich schnell zwischen Weltekel und Selbstgefälligkeit ein, also genau in jenem Bereich, in dem auch die von Altenburg verachteten Flaneure knorzen. Der Held sei müde, entschuldigt sich der Autor in einem Begleittext des Verlages und fügt hinzu: „Daß wir mal wieder am Ende eines Jahrhunderts angelangt sind, ich nehme an, es hat sich dieser Erzählung aufgeprägt.“

Ja, da sind wir mal wieder. „Fin de siecle“, „decadence“, „ennui“, das sind nicht unbedingt die Ziele, die Altenburg mit seinem ersten Roman „Die Liebe der Menschenfresser“ angepeilt hatte. Da stand es zwar auch schon schlecht um die Welt, aber damals fand der Dichter noch: Spaß ist, wenn man trotzdem lacht. Diesmal schafft er es nicht einmal mehr auf der halben Länge, wenigstens ein bißchen Freude zu verbreiten, und heult lieber mit den Wölfen. Ist der Mann etwa so müde wie sein Held? Hat ihm der Rattenkampf doch mehr zugesetzt, als er zugeben will?

Vielleicht hat Altenburg nur Kreide gefressen. Er hat festgestellt, daß mehrere Töne in ihm stecken, „die Elegie ebenso wie der Gassenhauer“, und will nun vorführen, daß er auch den Tonfall des anämischen Tränensacks wie im Schlafe beherrscht. Und tatsächlich gelingt gerade das bis zu den letzten Seiten spielend – dann aber deutet er die verschlafene Geschichte zum Alptraum um.

Schäfer hat die Zögerlichere der beiden Schönen vergewaltigt, genau wie sich einst die deutschen Besatzer – und mit ihnen offenbar auch sein Vater – an den Frauen von Laroque vergangen haben.

Die Geschichte, diese Erkenntnis gibt Altenburg uns mit, wiederholt sich – am Sohn, an uns, und am Ende sind alle erwischt: Der Leser von der Langeweile und Altenburg von der Wahrheit seiner eigenen Polemik.

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