20. Juni 1992 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Rückkehr nach Carobèl

Himmel aus Porzellan

Alfredo Antonaros' Roman "Rückkehr nach Carobèl"

ALFREDO ANTONAROS: Rückkehr nach Carobèl. Roman. Aus dem Italienischen von Sabina Kienlechner. Piper Verlag, München 1992. 138 Seiten, 28 Mark.

Um sich ein Bild von Samarkand zu machen, empfiehlt der Autor zu Beginn, muß man sich eine Stadt aus Steinen und Ziegeln vorstellen, ineinander verschachtelt und übereinandergetürmt. Um sich ein Bild von diesem Roman zu machen, könnte man hinzufügen, muß man sich Samarkand vorstellen. Zwar fügt sich das Erzählte im ganzen in zwei Stränge, aber dabei werden die Geschichten so lange verschränkt und aufgehäuft, bis Anfang und Ende aus dem Blickfeld verschwinden.

„Ich stamme aus einer Emigrantenfamilie“, heißt es des weiteren. Und sofort setzt die Mutter des Erzählers ein und breitet eine Ahnenreihe aus, die sich durchs Buch und über die Kontinente zieht: Samarkand, Syrne, Alexandria, Carobèl; Usbekistan, Griechenland, Ägypten. Am Horizont steht dabei immer der Traum von Carobèl, einem „kleinen Dorf im Nordosten von Afrika“, wo die Mutter aufgewachsen ist. Er gibt dieser Reise durch die Jahrhunderte, in denen Krieg um Krieg die Familie vor sich hertreibt, einen Fluchtpunkt, der auch dem Erzähler selbst vor Augen steht. Er unterbricht die Geschichten mit Erinnerungen an die Gegenwart, an eine Kindheit in Marseille und an seine Fremdheit in Italien. Aber der Zusammenhalt der beiden Ebenen ist lose, die Durchblicke sind zu oft verbaut. Lediglich eine vage Übereinstimmung der Fluchtbewegungen findet sich im einst und heute, ein Gefühl der Vertriebenheit, das die Empfindungen des Erzählers den Geschichten der Mutter in die Arme treibt.

Mit dem Sturm der Geschichte eilt das Erzählen einerseits dahin, Schicksale im knappen Worten besiegelnd, um andererseits in detaillierten Beobachtungen zu verharren. Die Kindheit in Edenville, dem Slum von Marseille, wird so lebhaft beschrieben wie eine Freundschaft in den Zeiten der Studentenbewegung. Schöne Bilder finden sich da, Kostbarkeiten und Zärtlichkeiten, aber nie schafft es der Erzähler, dabei wirklich Fuß zu fassen. Das mag das Thema des Romans sein, aber die Konsequenz tut ihm nicht gut. Geschichten, die nach salzigem Fisch riechen, möchte der Italiener Antonaros erzählen, und er hat wohl den Ton, aber nicht die Stimme dafür. So ist der Himmel in diesem Buch zwar manchmal aus Porzellan, aber es gibt niemanden, der unter ihm Schutz sucht.

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