Wem der Gong schlägt
Norman Mailer nimmt es mit Picasso auf
Ring frei zur ersten Runde im Fight des Jahrhunderts. Wie Boxer in ihren farbigen Umhängen werden auf dem Buchumschlag die beiden Namen präsentiert. Oben in Gelb der Name des Champions: Picasso, der spanische Stier; unten in Rot der Name des Herausforderers: Mailer, der amerikanische Bulle. Sieht so aus, als fehlte nur noch der Gong, und es könnte losgehen im Kampf der Titanen.
Der Auftritt des Buches ist natürlich clever inszeniert. Schließlich hatte es Mailer schon häufiger mit den Größten ihrer jeweiligen Klasse aufgenommen, mit Marilyn Monroe und Muhammad Ali, mit Gary Gilmore und Lee Harvey Oswald. Mit gesundem Ehrgeiz und bemerkenswertem Sportsgeist hat er sich als Autor den großen Mysterien unserer Zeit gestellt, den Rätseln von Genie und Glamour, Schöpfung und Zerstörung. In den Spannungen dazwischen fand er unser Jahrhundert gefangen.
Norman Mailer hat sich wie kaum ein anderer mit der Wirklichkeit gemessen – das kann ihm keiner nehmen. Er mag eitel sein und manchmal auch so schreiben, aber so blind ist er nicht, daß er nicht sehen würde, auf welch dünnem Eis er sich diesmal bewegt. ‚Ich weiß schon‘, hat er einer Reporterin des Magazins Time anvertraut, ‚daß manche Leute denken: ,Der arme Norman versucht, sich mit einem Mann zu identifizieren, der ihn um Längen überragt.‘ Das ist, gelinde gesagt, Quatsch.‘
Der arme Norman sollte aber trotzdem wissen, daß genau diese Identifikation das mindeste ist, was man von ihm erwarten darf. Picasso – Portrait des Künstlers als junger Mann (aus dem Amerikanischen von Klaus Fritz und Renate Weitbrecht; Piper Verlag; 464 Seiten, 230 S/W- und 48 Farbabbildungen, 58 Mark) heißt sein Buch, aber lesen möchte man eigentlich ein Portrait des Künstlers als Norman Mailer. Welchen besseren Grund könnte es für noch ein neues Buch zu diesem Thema geben, als daß hier das Leben und vor allem die Arbeit des Künstlers durch die Augen des – nennen wir ihn mal so – Dichters gesehen würde? Es ist aber leider so, daß sich Mailer zwar nach Kräften in Picassos Obsessionen einzufühlen versucht, vor dessen Arbeit aber die Waffen streckt.
Schon 1962, schreibt er im Vorwort, habe er dieses Projekt in Angriff genommen, aber dann aufgegeben, weil er damals noch nicht soweit gewesen sei, ein Buch über Picasso zu schreiben. Zwei Monate lang hatte er die Bilder studiert; danach sei seine bisherige Sicht der menschlichen Existenz kaum noch aufrechtzuerhalten gewesen: ‚Um ein Haar hätten die Bilder mein Denken aus den Angeln gehoben.‘ Mit 72 Jahren war es also endlich Zeit, sich an das Thema heranzuwagen; doch was immer Mailer damals so erschüttert haben mag, findet sich in seiner, wie er es nennt, interpretierenden Biographie kaum wieder.
Es findet sich zwar die frühere Begeisterung, aber beredet wird sie eigentlich nur dort, wo man die Sinnlichkeit, wie er das in einem Interview nannte, geradezu schmecken kann. Selten findet sich eine Beschreibung wie jene zur Zeichnung ‚Die Liebenden‘, bei der Mailer den Blick des Malers charakterisiert, ‚als hätte er durch eines der vorhanglosen Fenster zugeschaut, wie sie auf einem Meer des Friedens davontrieben‘. Häufiger flüchtet er in solche Allgemeinplätze wie jenen, wonach es das Beeindruckende an Picassos Kunst sei, ‚daß es immer schwieriger wird, eine Zeichnung zu finden, die nicht eine ganze Menge aussagt‘. Weil er das rein biographisch meint, versteht man auch besser, warum er sich nicht an den alten Picasso gewagt hat: Dannwürde Mailer mit seiner Methode schnell ganz alt aussehen.
Es erwartet ja niemand von ihm, daß er besser als die ungezählten Kunsthistoriker vor ihm beschreiben kann, worin die Bedeutung dieser Bilder besteht; aber daß er anschaulicher als jene schildert, was ihren Zauber ausmacht, wäre schon einer der Gründe, warum man so ein Buch von ihm lesen möchte. Statt dessen zitiert Mailer ausgiebig Weggefährten, Zeitzeugen und Kunstkritiker, die in ihrer Gesamtheit wohl ein kaleidoskopisches Portrait Picassos ergeben, aber kaum Raum lassen für den eigenen Blick.
Immerhin will und kann er kaum verschleiern, daß er sich, was die Kunst angeht, hier als Amateur betätigt. Er wird nicht müde zu beschwören, daß Picasso etwa die 7 nie als Zahl, sondern nur als umgekehrte Nase sehen konnte; daß sich ihm die Welt allerorten in Formen aufgelöst hat. Bei Mailer hat diese Sichtweise dann Methode: Er hofft, daß aus seiner Montage verschiedener Formen von Text Spannungen entstehen, in deren Schatten und Kontrasten die Figur Picasso sichtbar wird – als eine Form inmitten anderer Formen.
Sichtbar wird jedoch die Figur des Schriftstellers, der müde und ausgelaugt ist. Am deutlichsten sieht man das an seinem Umgang mit alten Photographien, die für Kolorit sorgen. Da heißt es dann vor einer Abbildung: ‚Der Eingang zum Moulin de la Galette sah jedenfalls so aus.‘ Kein Ehrgeiz, diese Welt mit den Mitteln der Fiktion zu erobern, keine Lust, sich schreibend hineinzuträumen ins Paris des Jahrhundertanfangs, keine Kraft, sich den Bildern zu stellen. Manchmal wirkt seine Arbeit wie das Buch zu einer nie gedrehten Fernsehserie über die frühen Jahre Picassos. Als solches wäre es vorbildlich, als Ergebnis einer lebenslangen Bewunderung ist es zu wenig.
Im Kampf der Titanen steht Mailer schon nach wenigen Runden angeschlagen in der Ecke und wird ausgezählt. Er kann nur noch auf den Gong warten, der dem k.o. zuvorkäme. Aber eine klare Niederlage nach Punkten ist dies allemal.