Biographie für eine Nacht
Der erste brasilianische Roman des Argentiniers Manuel Puig
MANUEL PUIG: Herzblut erwiderter Liebe. Roman. Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Karin von Schweder-Schreiner. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1985. 180 Seiten, 26 Mark.
Eine Frau, die für ein Haute-Couture-Modell nicht den Kopf verliert, ist keine Frau. So schrieb der Argentinier Manuel Puig 1979. Ein schöner, vielleicht auch wahrer, sicher aber ein unbequemer Satz, den zu lesen auf die eine oder andere Art Unbehagen bereitet Im 1982 entstandenen Roman „Herzblut erwiderter Liebe“, dem ersten, den der Autor in der Sprache seines Exillandes Brasilien geschrieben hat, heißt es: „Frauen sind zu kompliziert, am besten, man kümmert sich nicht drum und schiebt ihn einfach rein.“ Wer da aufheult und nicht die Bereitschaft mitbringt, tief hinabzutauchen in die Welt von Puigs Figuren samt ihren Beschränkungen, der wird sich mit diesem Roman nicht anfreunden können. Denn der Autor führt seine Helden an sehr langer Leine, läßt ihnen alle erdenklichen Freiheiten, bis sich hinter den einfachen, auch bornierten Worten eine ganz andere Wahrheit auftut: die von Einstellungen unabhängigen Hoffnungen und Verzweiflungen, von denen jedes Leben durchdrungen ist – und sei es noch so armselig.
Wahrheit, das heißt für Maria da Gloria: Von dem Nervenzusammenbruch, als sie nach ihrer Entjungferung von Josemar verlassen wurde, hat sie sich bis heute nicht erholt. Jetzt acht Jahre später, ist dieser Mann, ein mittelloser Maurer, zu Besuch und erzählt eine Nacht lang aus seinem Leben: von der Provinzkindheit und der Fußballerkarriere, der kranken Mutter und dem ersten Auto, der Arbeit und seinen unzähligen Frauengeschichten. Dabei überlagern sich Gegenwart und Vergangenheit, Orte und Personen geraten durcheinander, seine Erzählungen beginnen sich zu widersprechen. Josemar redet über ein Leben, das im besten Fall nur ungefähr seinem eigenen gleicht. Immer weitschweifiger werden seine Erfindungen, als helfe es, eine Nacht lang dem Leben Wendungen zu geben, die es leider nie genommen hat. Maria mahnt ihn, bei der Wahrheit zu bleiben, zügelt ihn, um auf ihre eigenen Fragen endlich Antworten zu erhalten – vergebens. Puig versagt seinen Figuren diese Gewißheit, läßt sie auf dem wirren Weg durch ihre Biographien allein. Vielleicht weil er weiß, daß das ihre letzte Chance ist, der trostlosen Gegenwart zu entkommen.
Wahrheit ist ein großes Wort; Liebe, Hoffnung oder Leidenschaft sind andere. Puig scheut sie so wenig wie die großen Gefühle. Er hat sie der Trivialkultur, den Radioserien und Hollywoodf ihnen entlehnt ohne sie ironisieren oder entlarven zu wollen. Schon als Kind fand Puig „die Wirklichkeit der Leinwand weit überzeugender als die eigene“. Die Aufklärerpose liegt ihm also nicht er hat sie auch gar nicht nötig. Seine Helden können für sich sprechen, Puig leiht ihnen seine Stimme, tritt als Erzähler überhaupt nie in Erscheinung. Das hebt jede Distanz auf, macht den Leser empfänglicher für die Sprache, für den Rhythmus von Josemars einfachen Worten: „Wenn keiner eine Münze in die Musikbox steckte, konnte er etwas von den Leuten hören, die in der Kneipe Karten spielten, und dann nichts mehr, überhaupt nichts, Scheiße.“ Josemar hat nicht viel ein paar mickrige Erinnerungen, ein paar triviale Sehnsüchte, „und das ist so, als ob er reich wär“.