15. Mai 1986 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Chinatown-Mafia

Auf den lrrwegen zum amerikanischen Traum

Michael Ciminos großer Film CHINATOWN-MAFIA

Der Kerl ist wirklich ein Ekel: Er ist undankbar, überheblich und selbstgefällig, nimmt sich Frauen auch mal mit Gewalt und kümmert sich ansonsten einen Dreck um die Menschen seiner Umgebung Der New Yorker Cop Stanley White hat ein Ziel vor Augen, er will einen privaten Krieg führen. Am Ende steht er vor einem Scherbenhaufen: Seine Frau ist tot, ein Helfer ist auf der Strecke geblieben, seine Karriere beendet.

Teuer hat er sich seinen Sieg erkauft und nichts dabei gewonnen. Am Arm seiner Geliebten räumt er das Feld als Geschlagener und stellt, immer noch lakonisch, fest. „Ich wäre wirklich gern ein netter Kerl, aber leider kann ich einfach nicht nett sein.“

Wenn dann der beste Film des Jahres langsam in Zeitlupe zum letzten Bild gefriert, weiß man, daß da einer aufgegeben hat, daß etwas zu Ende ist. Michael Cimino hat für The Beer Hunter fünf Oscars bekommen und mit Heaven’s Gate ein Studio ruiniert. Er ist ein Besessener, nicht nur bei der Arbeit, sondern vor allem in seiner hartnäckigen Beschäftigung mit dem amerikanischen Traum in seiner ursprünglichsten Form: eine neue Heimat zu finden, die Wirklichkeit mit den Ansprüchen auszusöhnen. Ob Kriegsfilm, Western oder Polizeifilm – die Einordnung in Genres ist indes völlig unzureichend -, an den Reibeflächen zwischen nationaler Identität und versuchter Integration, zwischen dem Traum und seinem Verrat an den Erfolg, entzünden sich Konflikte, entsteht Gewalt.

Cimino dreht Filme über ein Amerika, das immer noch nur Entwurf ist. Und darüber, wie in die Ordnung das Chaos einbricht, in den pennsylvanischen Alltag der Vietnamkrieg, in das längst aufgeteilte Land von Johnson County die mittellosen Einwanderer, in die Organisation des Verbrechens der neue Polizeichef von Chinatown.

Wobei in den beiden letzten Filmen die vergebliche Hoffnung besteht, die Neuordnung nach dem Chaos würde die Menschen der Erfüllung ihres Traumes ein Stück näherbringen. Also geht es in den Filmen auch um Fragen, deren Antworten die Zuschauer für sich selbst finden müssen. Cimino bringt die Dinge nur aus dem Gleichgewicht also ins Rollen. Dabei schreitet die manchmal sanft gleitende, manchmal rüde beschleuigende Bewegung nicht linear voran, sondern schließt sich zum Kreis. Und der Rhythmus der Bilder umfängt diese Bewegung, wie jener in HEAVEN’S Gate den Kreis der Rollschuhläufer beim Tanz vorantreibt.

CHINATOWN-MAFIA beginnt mit einer farbigen Explosion der Bilder, mit dem Festzug in DAS JAHR DES DRACHEN (so der Originaltitel): Eine Drachenfratze springt ins Bild, Feuerwerkskörper krachen, die Masken tanzen in Chinatown. Man feiert den Beginn des neuen chinesischen Kalenderjahrs. Dann wird ein greiser Würdenträger schnell und brutal erstochen und an Stelle des bunten, extatischen Treibens schreitet nun ein Trauerzug ganz in Weiß. Noch während Stanley White, der höchstdekorierte Polizist der Stadt dem alten Polizeichef von Chinatown dessen Ablösung eröffnet wird ein italienischer Ladenbesitzer erschossen. Ein Anfang mit Paukenschlägemn; das Gleichgewicht der Kräfte ist zerschlagen. White nimmt seinen neuen Job ernst mit den alten Arrangements gibt er sich nicht zufrieden. Worin seine Vorgesetzten lediglich Bandenunwesen vermuten, sieht er ein System, findet Hinweise auf die Existenz einer Mafia in Chinatown. Mit selbstzerstörerischer Verbissenheit sucht er nach stichhaltigen Beweisen, attackiert ohne Rücksicht auf Weisungen und Gesetze die festgefügte Ordnung des Viertels. Schon bald geht es nicht mehr nur um Erledigung der Arbeit sondern um Whites persönliche Besessenheit: die Vision, eine Gerechtigkeit durchzusetzen, die ihm selber nie widerfahren ist. Er will, daß die Chinesen dem Land, das für ihn trotz Vietnam immer noch Verheißung ist durch Aufgabe ihrer Tradition, durch Anpassung denselben Respekt erweisen wie andere Minderheiten auch: „Das ist Amerika. Hier lebt ihr. Stellt eure Uhren um?“

White selber ist polnischer Abstammung; sein Name – eigentlich heißt er Wyschinski – ist sein Programm. An ihm kann man sehen, wie der Traum in Wahn, in Rassismus umschlägt. Er glaubt: „Wenn ich aufgebe, gibt das System auf.“ Das patriotische Mißverständnis, ein besserer Amerikaner als die Amerikaner selbst sein zu wollen, treibt ihn voran. Er leidet am gleichen Trauma wie sein geistiger Bruder Rambo: ihre Liebe zu Amerika nach Vietnam nicht erwidert bekommen zu haben. Und doch, welch ein Unterscheid zwischen CHINATOWN-MAFIA und der geschichtsrevisionistischen Propaganda: Cimino hat – auch wenn das manche Kritiker einfach nicht begreifen wollen – keinen rassistischen Film, sondern einen Film über Rassismus gedreht. Er hat in White ein Abbild der sozialen Problematik der Minderheiten entworfen, das zeigt wie sich die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit als Riß durch das Individuum zieht.

Schönheit und Chaos

Der Zwiespalt die Bedenken sind in jeder Hinsicht – auch wenn White durchaus als Sympathieträger taugt – in die Inszenierung miteingeflossen. Sein Freund und Kollege Bukowski (Ray Barry) beschimpft ihn vehement: „Ich habe es satt daß Leute wie du Vietnam immer als Ausrede hernehmen, sich so aufzuführen wie du.“ Doch White hört überhaupt nicht zu, weil der Kampf für ihn längst existentielle Dimensionen angenommen hat. „Das ist ein beschissener Krieg, den werde ich nicht verlieren. Den nicht?“

Wie sehr sich Tradition und Herkunft der Anpassung widersetzen, davon sprechen die Oberflächen der Dinge. Die detailwütige Ausstattung nationaler oder religiöser Rituale ergibt Bilder von einer monumentalen Schönheit, die sich allem Chaos widersetzt: der chinesische Festzug vom Anfang, ein Beerdigungsgottesdienst der Polen ein Empfang bei einem kurzen Exkurs in den südostasiatischen Bergen. Doch mit den Oberflächen gibt sich White nicht zufrieden, er will an den Kern der Dinge, an das Geheimnis dahinter – und scheitert, weil sich die festgefügten Ordnungen zäh widersetzen. Einmal beschleicht ihn die Ahnung. „Ich bin auf der Jagd nach etwas, was in Wirklichkeit überhaupt nicht existiert.“ Und nicht einmal der kleine Sieg am Ende wäre ihm vergönnt, wenn er nicht auf der Gegenseite einen feindlichen Bruder hätte, dem er durch einen abgründigen Haß seltsam verbunden ist. Joey Thai (John Lone) ist sein chinesisches Spiegelbild das auch vom Umsturz der Ordnung träumt. Durch geschickte Intrigen an die Macht gekommen, will er sich auch nicht mit alten Abmachungen zufriedengeben, will den Italienern die Kontrolle über den Drogenhandel entreißen.

Das Chaos, das er entfesselt, bestätigt nur die Qualität des alten Gefüges. Am Ende stehen sich White und Thay, Pole und Chinese, in einem mystisch überhöhten Showdown gegenüber. Verwundet stürzen sie aufeinander zu, um schließlich in einem Pietà-Bild niederzusinken. Thai bittet um die Gnade, sich selbst entleiben zu dürfen.

Die Stilisierung, die den Film nicht nur in der Duell-Szene durchzieht, rückt CHINATOWN-MAFIA in die Nähe der Allegorie, einer Allegorie Amerikas und seines Kampfes um den, Traum. Und doch landet Cimino über diesen Umweg wieder bei der Wirklichkeit, gerade durch seine Weigerung, sie einfach abbilden zu wollen. Whites wunderschöne Geliebte, gespielt von dem Photomodell Ariane, will als Fernsehreporterin auch die Welt abbilden, nur rauben die Fernsehbilder den Dingen ihr Geheimnis. Und ohne Magie ist Schönheit nicht möglich.

Für die Schönheit als Verheißung hat Cimino ein wunderbares Bild gefunden: Nachdem sich White und Tracy geliebt haben, streicht die Silhouette der Chinesin vor den riesigen Panoramafenstern ihres Lofts vorbei. Ein langer Schwenk umfängt die in nächtliches Blau getauchte Szene, während im Hintergrund die majestätische Skyhne von Manhattan vor dem Horizont leuchtet. Ein Sinnbild der Verheißung, des ewigen Versprechens, für das dieses moderne Babylon steht. Wodurch klar wird, daß der Traum auch eine Frage des Blickwinkels ist. Denn wenn sich der Italiener zum Chinesen: „Laß bloß den Nigger draußen.“

CHINATOWN-MAFIA hat auch nach dem vierten Sehen nichts von seinem Zauber verloren: Weil es kein einfacher Film ist; weil er sich nicht festlegen läßt und voller Irritationen und Spannungen steckt; ein Genre-Thema episch erzahlt wird; weil der außergewöhnliche, 29-jährige Mickey Sourke mit ergrautem Haar einen Mittvierziger spielt; weil detailversessene Beobachtung und Stilisierung sich aneinander reiben; weil CHINATOWN-MAFIA Kriegsfilm, Western und Polizeifilm zugleich ist; weil man gerührt und gebannt, zwei Stunden in einer anderen Welt war.

(In München im Mathäser, Royal und Marmorhaus.)

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