11. April 1998 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Ferien für immer

Rettung vor Baedekers Fluch

Ferien auf dem Barhocker mit Kracht und Nickel

CHRISTIAN KRACHT, ECKHART NICKEL: Ferien für immer. Die angenehmsten Orte der Welt. Illustrationen von Dominik Monheim. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1998. 200 S. , 34 Mark.

Sehen wir der Wahrheit ins Auge: Abenteuer kann heutzutage jeder erleben, denn Weltreisen gibt es praktisch geschenkt. Dschungel und Wüsten bergen längst keine Geheimnisse mehr, sondern sind im Pauschalpreis inbegriffen. In dieser Welt, in der es nichts Neues unter der Sonne mehr gibt, setzt man sich also am besten auf den nächstbesten Barhocker und pfeift auf Land und Leute und alle Versuche, eines von beiden kennenlernen zu wollen. Das bedeutet weniger Strapazen und mehr Spaß.

Wenn ein Buch behauptet, die angenehmsten Orte der Welt zu versammeln, dann ist das ein Schlag ins Gesicht all jener Reiseführer, in denen die Welt auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht wird. Was Christian Kracht und Eckhart Nickel versuchen, ist nichts weniger als die Errettung der Welt aus den Fängen des Pauschal-, Individual- und sonstigen Tourismus. Sie geben der Welt ihre Geheimnisse zurück und bewahren sie vor Baedekers Fluch.

66 Orte suchen sie auf, vom Casino Carrasco in Montevideo bis zum Cha Ca Va Long Restaurant in Hanoi, von der Pension Mountain Shadows im südafrikanischen Paarl bis zum Bierbichler am Starnberger See. Wobei es kaum Anhaltspunkte gibt, daß auch nur ein einziger dieser Orte wirklich existiert. Sie wirken allesamt gut erfunden, und die Tatsache, daß man beim Bierbichler ein Bier mit Blick auf den See trinken kann, bedeutet noch lange nicht, daß der geschilderte Ort mit dem wirklichen Ort mehr als nur eine flüchtige Ähnlichkeit hat. Wem es allerdings hilft, diese Welt für wirklich zu halten, der darf versichert sein, daß die Adressen tatsächlich existieren – und mitunter sogar die Telephonnummern.

Wer hingegen daran glaubt, daß die Welt ohnehin nur Wille und Vorstellung ist, der wird in den Autoren ideale Reisebegleiter finden. Manche ihrer Orte sind einfach schön, andere müssen sie sich schönreden, wieder andere schöntrinken – und bei manchen hilft nicht einmal das. Es geht darum, so lange in Foyers oder am Tresen sitzenzubleiben, bis wirklich alles zu spät ist. Dann geben die Ort ihr Geheimnis preis – oder auch nicht. Im Grunde ist das Buch kein Reiseführer, sondern ein Heimatroman. Am besten bleibt man zuhause und läßt sich vom Duft der großen weiten Welt betören, der einem aus diesem Buch entgegenschlägt. Das ist schätzungsweise auch viel angenehmer als die beschwerliche Anreise zu diesen Orten.

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