05. Februar 1994 | Süddeutsche Zeitung | Kunst, Rezension | Ken Adam – Visionäre Filmwelten

Lug und Trug gehören bei ihnen zum Geschäft. Filmausstatter leben davon, daß sie den Leuten ein X für ein U vormachen. Von Berufs wegen sind sie Täuscher, Aufschneider und Hochstapler. Sie machen halbe Sachen und hoffen, daß man sie für voll nimmt. Das ist die alchimistische Seite ihres Gewerbes.
Zur Filmausstattung gehören bei uns Szenenbildner, Filmarchitekten und Kostümbildner. Wenn sie mit der Zeit Schritt halten wollen, nennen sie sich Art Director oder Production Designer. In jedem Fall geben sie der Welt im Film ein Gesicht. Die Wirklichkeit ist ihnen selten gut genug. Also erfinden sie sie neu. Mal sind sie dabei Jäger und Sammler, mal Phantasten und Visionäre. Meistens beides zugleich. Sie bestimmen Formen und Farben, versammeln Originale oder Fälschungen, und bauen im Studio oder im Freien. Filmausstatter sind Stadtplaner im Nichts, Architekten des Wahns, Götter mit beschränkter Haftung.

Jeder nimmt ihre Arbeit wahr, kaum einer kennt sie. Bei uns fallen allenfalls Namen wie Zehetbauer, Perakis oder Lüdi, aber auch anderswo sind die Großen des Gewerbes kaum bekannt. Dabei haben sie zumal in den Goldenen Jahren des Kinos mehr als irgendwelche Studiobosse oder Regisseure das Aussehen der Filme geprägt. Cedric Gibbons war für den Pomp bei MGM, Hans Dreier für die Eleganz bei Paramount, oder Anton Grot für die Atmosphäre bei Warner verantwortlich. Sie kontrollierten hunderte von Mitarbeitern, von Zeichnern und Malern, Schneidern und Handwerkern, und schufen in den Studios die Welt als Wille und Vorstellung. Ernst Lubitsch hat die Arbeit der Production Designer mit seinem berühmten Ausspruch auf den Punkt gebracht: ‚Es gab das Paris von Paramount, das Paris von MGM und das Paris in Frankreich. Paramounts Paris war das pariserischste von allen.‘
Womit deutlich wird, daß es bei dieser Arbeit keineswegs um die möglichst genaue Kopie der Wirklichkeit geht, sondern um den möglichst glaubwürdigen Ersatz der Wirklichkeit.

Unter dem Eindruck von Metropolis und dem Cabinet des Dr. Caligari entschied sich Ken, der eigentlich Klaus hieß und vor genau 73 Jahren als Sohn eines jüdischen Kaufhausbesitzers zur Welt kam, früh für den Bau von Luftschlössern. Die Familie floh aus Deutschland und landete in London, wo Adam Architektur studierte und nach dem Krieg als Ausstatter anfing. Erst ein Jahrzehnt später überwand er die architektonische Neigung zur Präzision und lernte, mit breiten Filzstiften ‚loszulassen‘ und großzügiger zu entwerfen. So nabelte er sich endgültig von der Wirklichkeit und ihren Gesetzen ab.

Ken Adam hat seinen Oscar zwar für Barry Lyndon bekommen, aber weil es bei der Arbeit mit Kubrick nur darum ging, sich so genau wie möglich an Vorbilder zu halten, hält er den Film eher für eines seiner untergeordneten Projekte. Lieber war es ihm, wenn er seiner Phantasie freien Lauf lassen konnte. Und nirgends konnte er das besser als bei den sieben James-Bond-Filmen, für deren Schauwerte er zuständig war.

Es gibt kaum einen Jungen, der in den späten Sechzigern groß geworden ist und nicht mit Adams Arbeit in Berührung gekommen wäre. Der wehrhafte silberne Aston Martin DB5 aus Goldfinger, der unterwassertaugliche Lotus Esprit aus The Spy Who Loved Me oder das geflügelte Auto aus Tschitti Tschitti Bäng Bäng durften in keiner Spielzeugauto-Sammlung fehlen. Diese Prototypen dürften der sichtbarste Beweis von Adams Erfolg in diesem vergänglichen Gewerbe sein. Eine Lust am Wechselspiel der Möglichkeiten zwischen Form und Funktion war in diesen gadgets am Werk, die vermutlich deswegen so ansteckend war, weil Adam als Konstrukteur wenig Ahnung, aber viel Liebe mitbrachte. Immerhin fuhr er selbst einen Jaguar E-Type, das schönste Auto aller Zeiten.

Wo etwa Michael Powells Production Designer Hein Heckroth, den das Frankfurter Filmmuseum mit einer Ausstellung gewürdigt hat, eher am Spiel der Farben interessiert war, da ging es Adam mehr um die Formen. Immer wieder werden in seinen Räumen Technik und Natur, Künstliches und Organisches verwoben. Mal ist die Kommandozentrale im Inneren eines Vulkankraters untergebracht, mal sind Aquarien in die Wände eingelassen. Und der kreisrunde Tisch im War Room von Dr. Strangelove kontrastiert mit den unordentlichen Formen auf den Weltkarten an der Stirnwand. Gerade die Durchdringung ließ diese Architekturen futuristischer wirken als es rein technische Phantasien geschafft hätten. So hat Ken Adam der Zukunft ein Gesicht verliehen.

(Die Ausstellung mit Skizzen und Filmbildern ist bis zum 13. Februar im Forum der Technik im Deutschen Museum zu sehen. Am Sonntag tritt in der Reihe Reden über Film Ken Adam selbst um 11 Uhr im Arri auf und kommentiert Ausschnitte aus seinen Filmen.)

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