01. Juli 1999 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Zu verkaufen

Die Ökonomie der Gefühle

Sandrine Kiberlain in Laetitia Massons ZU VERKAUFEN

Manchmal machen Filme gar nicht alles richtig und kommen doch zu den richtigen Ergebnissen. So wie Frauen manchmal gar nicht so bildschön sind und doch auf eine Art bezaubernd, daß einem schier der Atem stockt. Wenn beides zusammenkommt, dann hat man einen Film wie ZU VERKAUFEN, der sich ganz und gar um seine Hauptdarstellerin Sandrine Kiberlain dreht – selbst dann, wenn sie gar nicht anwesend ist.

Kiberlain war auch schon in Laetitia Massons famosem Erstling HABEN (ODER NICHT) die Heldin – und also ist ihre zweite Zusammenarbeit schon so etwas wie ein Versprechen. Wenn es dann losgeht, eine Frau bei ihrer Hochzeit einfach nicht auftaucht und ein Detektiv sich auf ihre Spur macht, dann scheint schon jenes Gesicht durch, dessen Mischung aus Härte und Verletzlichkeit, Gleichmut und Empfindsamkeit man noch aus dem ersten Film vor Augen hat. Schmal und sommersprossig, Haare rotblond und zusammengesteckt wie Stroh. Durchscheinende Haut, aber geschützt durch kantige Züge.

Was ZU VERKAUFEN von anderen französischen Filmen allerdings unterscheidet, ist die Art und Weise, wie unversöhnlich die Heldin ihren Weg geht. Dabei ist die Suche des Detektivs (Sergio Castellitto), die das Tempo vorgibt, gar nicht so entscheidend. Sie führt eigentlich zu nichts, wenn man davon absieht, daß der Mann über das Phantom, das er jagt, im Grunde nur zu sich selbst findet. Er forscht in der Champagne, bei ihren Eltern, deren Sprach- und Harmlosigkeit so vielsagend wie unergiebig ist, und folgt ihr weiter, meistens ein paar Schritte hinterher, irgendwann auch einen voraus, während man sie parallel bei ihren diversen Jobs und Liebschaften sieht. Dieser doppelte Blick, diese Gleichzeitigkeit macht den Film von Anfang an spannend. Der Blick auf die Frau und der Blick eines Mannes auf die Frau, jeweils vermittelt durch Dritte, die ihren Weg gekreuzt haben. Dahinter steckt keine besondere Kunstfertigkeit, sondern einfach das Bedürfnis, die Dinge in Schwung zu halten.

Der Detektiv, ein Italiener aus Marseille, ist ein Verlorener wie einst Michel Serrault in DAS AUGE. Er phantasiert sich hinein in diese Frau, hat aber eigentlich ganz andere Probleme. Schon wenn er am Anfang ein Mädchen aus demselben Dorf befragt, die erst seit einem Jahr verheiratet ist, ihm aber eindeutige Avancen macht, wird klar, worum es geht: um Liebe und um Begierde und darum, wie schwierig es ist, beides zu trennen – oder zu vereinen. „Was haben sie alle zu verbergen?”, fragt der Detektiv bald – aber es sind gar keine Geheimnisse, sondern nur die ganz alltäglichen Verstrickungen des Lebens.

Was die Geschichte so interessant macht, ist die Tatsache, daß das Mädchen für die Liebe Geld verlangt. Nicht so sehr aus Berechnung, sondern zum Schutz vor ihren eigenen Begierden. Jedenfalls macht diese Tatsache aus einer einfachen Geschichte gleich eine Versuchsanordnung. Das gehört ja immer zu den Qualitäten des französischen Films, daß er die Liebe auf einer ganz anderen, irgendwie höheren Ebene verhandelt, aber Laetitia Masson macht durch den schlichten Trick die Mechanismen durchsichtig, welche die Ökonomie der Gefühle regeln. Sie läßt alle für die Liebe zahlen und bringt die Sache dadurch auf den Punkt. Die Männer haben damit naturgemäß Probleme, dabei verleiht es den Dingen nur eine gewisse Klarheit, die dennoch schwierig zu benennen ist.

Manchmal verliert der Film seine Heldin aus den Augen und wendet sich wieder dem Detektiv zu, der dann volltrunken seine Ex-Frau in ihrer neuen Umgebung aufsucht. Verschiedene Geschichten, verschiedene Sehnsüchte – und doch scheinen sie irgendwann denselben Fluchtpunkt zu besitzen. Laetitia Masson sucht – und vielleicht macht das ihren Film so interessant – dabei nicht die Geometrie. Immer wieder läßt sich die Kamera von Irritationen ablenken – ein vorbeifliegendes Flugzeug, eine erotische Erinnerung. Mal sucht sie die kunstvollen Arrangements, mal die banale Abbildung, mal den Realismus um jeden Preis, mal die abstrakte Inszenierung. In jedem Fall überzeugt der unglaubliche Reichtum an Situationen und Schauplätzen. Schließlich heißt das Mädchen nicht umsonst France. Der Film ist auch ein Sittenbild, und am Ende entsteht es weniger aus der Schlüssigkeit der einzelnen Begegnungen als aus der Nachhaltigkeit der verschiedenen Stimmungen. Gegen die Strenge ihrer Absichten setzt Laetitia Masson den Reichtum eines Landes, das sich im Kino immer wieder selbst erfindet.

A VENDRE, F 1998 – Regie und Buch: Laetitia Masson. Kamera: Antoine Héberlé. Musik. Siegfried. Mit: Sandrine Kiberlain, Sergio Castellitto, Jean-François Stévenin, Aurore Clément, Chiara Mastroianni, Roschdy Zem, Mireille Perrier. Verleih: Arthaus. 117 Minuten.

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