18. April 1994 | Focus Magazin | Filmkritiken, Rezension | Schindlers Liste

Hitlers Leinwandschergen

Das Dritte Reich und Hollywood: die Geschichte einer widersprüchlichen Beziehung

Drei Stunden Drittes Reich, drei Stunden Naziterror – und kaum ist Steven Spielbergs Holocaust-Drama SCHINDLERS LISTE vorbei, liest man im Abspann „An Amblin Entertainment“. Das ist zwar nicht weiter ungewöhnlich, weil Amblin eben der Name von Spielbergs Produktionsfirma ist, aber bei der Verbindung von Naziregime und Unterhaltung zuckt man unwillkürlich zusammen.

„That’s Entertainment“ war indes schon immer die Losung, der sich in Hollywood alles unterordnete. Da konnte es nicht ausbleiben, daß es in der Beziehung zwischen der Traumfabrik und dem Dritten Reich jede Menge falscher Töne und Widersprüchlichkeiten gab.

Wer glaubt, in dem weitgehend von jüdischen Produzenten beherrschten Hollywood sei der Kampf gegen den Faschismus eine Selbstverständlichkeit gewesen, täuscht sich gewaltig. Gerade in den 30er Jahren war man darauf bedacht, die Deutschen nicht zu verärgern, um den Absatz der Filme nicht zu gefährden.

Obwohl die antisemitischen Aktivitäten der Nazis bekannt waren und Hitler nichtarische Filmproduktion verboten hatte, machten Fox, Paramount, MGM und ihre Moguln bis 1938 Geschäfte in und mit Deutschland. Und als 1937 bei Universal THE ROAD BACK nach Erich Maria Remarques Roman „Der Weg zurück“ gedreht wurde, geschah das vor allem deshalb, weil das Geschäft ohnehin nicht mehr viel brachte.

Der Film kam in Deutschland dennoch in die Kinos – angeblich nachdem sich das Studio mit Goebbels getroffen und zugestimmt hatte, den Schluß zugunsten Hitlers zu ändern und alle politischen Szenen gegen romantische auszutauschen.

Die Nazis hatten ein Auge auf Hollywood. Besonders der deutsche Konsul in Los Angeles, Dr. Georg Gyssling, tat sich dabei hervor, indem er den Schauspielern der Remarque-Verfilmung einen Brief zusandte. In ihm hieß es: „Ich setze Sie in Kenntnis, daß Filmen die Genehmigung verweigert werden kann, in denen Leute mitarbeiten, die bereits bei der Produktion von Filmen dabei waren, die dem deutschen Ansehen Schaden zufügen.“

Das State Department protestierte bei der deutschen Regierung, die versicherte, es werde keine Briefe dieser Art mehr geben. Das hinderte Gyssling nicht, weiterhin Studios unter Druck zu setzen. Er brauchte nur die Konsequenzen für die in Deutschland lebenden Verwandten der Mitspieler unliebsamer Produktionen anzudeuten.

„Wenn der Film so gemacht wird“, hieß es in einem Studio-Schreiben über ICH WAR EIN SPION DER NAZIS, „dann wird Warner das Blut einer Menge Juden in Deutschland an seinen Händen haben.“

Als Wende zur deutsch-amerikanischen Feindschaft kann ICH WAR EIN SPION DER NAZIS gelten, in dem es um die Umtriebe der deutsch-amerikanischen Bünde in Amerika geht, die noch 1937 im Madison Square Garden eine Veranstaltung mit 1100 „Stürmern“ abhalten konnten. In Amerika waren in den 30ern profaschistische Bünde dieser Art keine Seltenheit. In Hollywood gab es sogar zwei Privatarmeen. Die eine, die Hollywood Hussars, wurde angeführt von Gary Cooper und dem Weltkriegs-helden Arthur Guy Empey, die andere, das California Light Horse Regiment, von dem John-Ford-Schauspieler Victor McLaglen. „Manche sagen, ich sei ein Nazi“, bekannte McLaglen, „andere, ich sei ein Faschist. Ein für allemal: Ich bin nur ein Patriot nach guter alter amerikanischer Art.“

Als sich die Geschäfte mit Deutschland verschlechterten, ließ der Widerstand nach. Selbst Benito Mussolini bekam Freunde in Hollywood. Hal Roach, der Laurel & Hardy-Produzent, gründete 1938 die Firma RAM Pictures (Roach and Mussolini), um Musicals in Italien zu drehen. Und Produzent Walter Wanger verkündete: „Mussolini? Er ist großartig. Sympathisch. Wunderbarer Mann. Weiß alles.“

Große Begeisterung auch für Leni Riefenstahl, die im November 1938 auf der Suche nach einem Verleiher für OLYMPIA nach Amerika gekommen war. Noch nach der Reichspogromnacht wurde sie vom späteren IOC-Präsidenten Avery Brundage in Chicago empfangen und von Walt Disney in Kalifornien durch die Studios geführt.

Ab 1940 wurde aus Hollywood zurückgeschossen. Obwohl der Titel HITLER – BEAST OF BERLIN noch in BEASTS OF BERLIN umbenannt wurde, sagen die Titel der folgenden Filme bereits alles: THE DEVIL WITH HITLER, HILER’S MADAM, I ESCAPED FROM THE GESTAPO, THAT NAZTY NUISANCE, YOU NAZTY SPY, I´LL NEVER HEIL AGAIN oder Donald Ducks Auftritt als Hitler in DER FUEHRER’S FACE.

Als Ironie des Schicksals mag gelten, daß in vielen dieser Filme die Nazis ausgerechnet von ihren Opfern gespielt wurden. Sig Ruman etwa spielte im Exil den „Konzentrationslager-Erhardt“ in Lubitschs SEIN ODER NICHTSEIN – einer Komödie, deren Bissigkeit nur mit Chaplins GROSSEM DIKTATOR verglichen werden kann. Und Conrad Veidt verkörperte den berühmtesten aller Leinwand-Nazis, den Major Strasser in CASABLANCA, und war darüber nicht einmal unglücklich: So konnte er die Nazis schlecht aussehen lassen.

Von 1700 Filmen jener Zeit befaßte sich ein Viertel auf die eine oder andere Weise mit dem Krieg. Die Deutschen waren darin meistens, was früher die Indianer oder Gangster waren: die Bösen.

Nach dem Krieg sah man auf einmal überall den Feind im eigenen Heim. In den 50ern wurde immer öfter die Frage laut, ob man im Krieg nicht die Falschen bekämpft hatte. Unter Senator McCarthy begann die Zeit der Hexenjagden. Mancher Antifaschist aus der Zeit des spanischen Bürgerkriegs wurde auf einmal zum Kommunistenfreund und Staatsfeind gestempelt.

Prompt änderte sich das Bild der Nazis. Hatte Erich von Stroheim 1943 den Rommel in Billy Wilders FÜNF GRÄBER BIS KAIRO noch dämonisch angelegt, so war er bei James Mason in ROMMEL, DER WÜSTENFUCHS schon ein Ehrenmann. Fortan waren die Deutschen wegen ihrer soldatischen Tugenden als Gegner gefragt. Sie bekamen sogar menschliche Züge: bei Marlon Brando in DIE JUNGEN LÖWEN (1957), bei Michael Caine in DER ADLER IST GELANDET (1976), bei James Coburn in DAS EISERNE KREUZ (1976).

Als die morbide Dekadenz des 1000jährigen Reichs fast schick wurde, gab es selbst für Hitler einen Frühling: nicht nur in Mel Brooks gleichnamigem Film, sondern auch, mit ganz unterschiedlichem Anspruch, in CABARET oder in ILSA, SHE WOLF OF THE SS.

Am wirkungsvollsten waren stets die Parodien, in denen das Gesicht der Nazis zur Kenntlichkeit entstellt wurde: Peter Sellers als DR. SELTSAM, dem sich bei Kubrick auch 20 Jahre nach dem Krieg immer wieder die Hand zum Hitlergruße streckt. Und Jerry Lewis als General Kesselring, der in WO, BITTE GEHT’S HIER ZUR FRONT den Stechschritt auf seine Weise interpretiert und mit Hitler in Zeitlupe tanzt.

Mit SCHINDLERS LISTE hat sich also nicht viel geändert. Es gilt, was schon INDIANA JONES bei Spielberg angetrieben hat: „I hate these Nazi guys!“

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