18. September 1992 | Die Zeit | Filmkritiken, Rezension | Reservoir Dogs

RESERVOIR DOGS von Quentin Tarantino

Ein roter Faden aus Blut

Ein Mann wurde von einer Kugel getroffen. Er schreit und schlägt vor Schmerzen um sich. Ein Bauchschuß kostet viel Zeit und noch mehr Blut. Der Tod kommt quälend langsam. Wenn es soweit ist, ist der Film zu Ende.

Ein Überfall ist schiefgelaufen. Einer hat daran glauben müssen, ein anderer hat die Kugel im Bauch. Man hat den Verwundeten zum vereinbarten Treffpunkt gefahren, in eine Fabrikhalle am Rande von Los Angeles. Dort liegt der Mann nun auf einer Rampe und verblutet. Ein anderer kümmert sich um ihn. Aber viel kann er nicht tun, denn ein Arzt kommt nicht in Frage. Und als die anderen Bandenmitglieder einer nach dem anderen eintreffen, drängt sich ohnehin bald etwas anderes in den Vordergrund: Wer ist der Judas unter ihnen? Wer hat sie verraten? Darüber reiben sie sich auf, den Sterbenden lassen sie links liegen. Aber das Blut, das aus ihm herausläuft, bildet den roten Faden, der sich durch die Geschichte zieht.

Quentin Tarantino hat diese Geschichte bei einem Workshop am Sundance Institute geschrieben und überarbeitet und aus der Not eine Tugend gemacht. Weil der 28jährige weder Geld noch Erfahrung mitbrachte, hat er beim Entwurf gleich die Realisierbarkeit im Auge behalten: Der Film spielt fast nur an einem Ort, in jener Fabrikhalle, die der Kamera wie den Schauspielern Bewegungsfreiheit verschafft und dem Regisseur erlaubt, sich ganz aufs Wesentliche zu konzentrieren. Tarantino hat das Beste daraus gemacht: RESERVOIR DOGS ist das aufregendste Debüt im amerikanischen Kino der letzten Zeit, von einer souveränen stilistischen Eigenwilligkeit wie die Anfänge von Hal Hartley, Spike Lee oder Steven Soderbergh.

Noch vor den Titeln sitzt die Gang im Coffeeshop und streitet sich mit einer Hingabe darüber, ob man Trinkgeld geben muß, die man vor allem von Scorceses Helden kennt. Dieselbe Nervosität und Halsstarrigkeit, dasselbe Bedürfnis, Standpunkte einzunehmen und Selbstbehauptung zu üben. Eine überschüssige Energie wird da spürbar, die sich dann entlädt, indem das Bild springt, wenn die Gangster in Fornation losziehen. Schwarze Anzüge, Schlipse und Brillen tragen sie da, ein Trauerzug auf dem Weg zum eigenen Begräbnis. Sie wissen es nur noch nicht.

Das Gangsterkino hatte schon immer eine besondere Beziehung zur Wirklichkeit. Die echten Gangster aus Chicago waren mindestens so aufs Image bedacht wie die falschen aus Hollyvood. Die beiden Seiten versuchten wechselseitig, dem Bild zu entsprechen, das sie voneinander entwarfen — besonders auf den unteren Ebenen. Von daher neigte der Gangsterfilm von jeher mehr zu Stilisierung, Ritualen und Rollenspielen als andere Genres. Das nutzt Tarantino für seine Zwecke. Die Gangster bei ihm sind kleine Nummern, die es nötig haben, sich wie Gangster zu kleiden und zu gebärden, um sich immer wieder ihrer Identität zu versichern.

Es ist kein Zufall, daß der Verräter unter ihnen ein Polizist ist, der mit den Methoden des Actors Studio seine Rolle als Gangster einstudiert hat. Sein Spiel ist so perfekt, daß ihm letztlich länger geglaubt wird als jedem der loyalen anderen. Zwischen Schein und Sein stehen sich die echten Gangster dauernd selbst im Weg. Jeder ungeübte Schauspieler gibt einen besseren Gangster ab als sie. Wobei die geübten Schauspieler, die Tarantino für sein Projekt gewinnen konnte, die reinste Schau sind: Harvey Keitel, Tim Roth, Michael Madsen, Chris Penn, Steve Buscemi, Eddie Bunker, Lawrence Tierney.

Den Überfall selbst sieht man nicht, nur die Flucht und die Folgen, die Agonie danach. Um den Todeskampf herum entsteht ein Endspiel, in dem keiner seinem Schicksal entgeht. Ein Tod in Zeitlupe, als habe man das endlos langsame Sterben aus Peckinpahs THE WILD BUNCH auf kleinstem Raum entfesselt. Eine unglaubliche Brutalität entsteht dadurch, der man sich nicht entziehen kann. Aber die Art, wie hier Blut vergossen wird, erinnert ans Action Painting und die gewalttätigen Rituale der Japaner. Die Welt hat ihren Zusammenhalt verloren, in der Form findet sie ihn kurzzeitig wieder. Die Gewalt entlädt sich in fast kalligraphischer Präzision. Nichts für sanfte Gemüter, aber durchaus etwas für Ästheten.

Ein Ballett des Schreckens führen die RESERVOIR DOGS auf, einen Tanz des Terrors. In der Suche nach dem Verräter reibt sich die Bande restlos auf. Das stete Hin und Her von Anschuldigungen und Verdächtigungen, Einschüchterung und Anbiederung, kurzfristigen Bündnissen und jähem Verrat läßt die Masken fallen.

Für den Überfall hatten alle zur Wahrung der Anonymität die Namen von Farben bekommen, und tatsächlich wird diese bunte Mischung von Typen allein durch den Auftrag zusammengehalten. Freundschaften gibt es nicht, kaum einmal Solidarität. Jeder ist sich selbst der nächste, aber geholfen ist damit keinem. Als einer versucht, den Teufelskreis aus Mißtrauen und Eigennutz zu durchbrechen, ist es bereits zu spät. In diesem Spiel gibt es nur Verlierer. Der einzige Trost mag darin liegen, daß alle ihr Schicksal ereilt. Quentin Tarantinos Rechnung ist also in jeder Hinsicht aufgegangen.

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