09. Juni 1989 | Die Zeit | Filmkritiken, Rezension | Die Reisen des Mr. Leary

DIE REISEN DES MR: LEARY von Lawrence Kasdan

Tourist wider Willen

„Könnte man die Sprünge der Aufmerksamkeit messen, die Leistungen der Augenmuskeln, die Pendelbewegungen der Seele und alle die Anstrengungen, die ein Mensch vollbringen muß, um sich im Fluß einer Straße aufrecht zu halten, es käme vermutlich (…) eine Größe heraus, mit der verglichen die Kraft, die Atlas braucht, um die Welt zu stemmen, gering ist, und man könnte ermessen, welche ungeheure Leistung heute schon ein Mensch vollbringt, der gar nichts tut (…). Der Mann ohne Eigenschaften war augenblicklich ein solcher Mensch.“ Macon Leary auch. Denn was Musil einst seinen Hauptdarsteller Ulrich denken ließ, das könnte auch Kasdans Mann ohne Eigenschaften beschäftigen.

Weil Macon jene Selbstverständlichkeit fehlt, mit der sich alle Welt vorwärtsbewegt, hat er sein; Konsequenzen gezogen. Er hat seine Verhältnisse geordnet, seinen Alltag gemaßregelt, seinen gesellschaftlichen Umgang aufs Nötigste beschränkt und aus diesem Sinn für existenzielle Ökonomie einen Beruf gemacht. Er schreibt Reiseführer. Und zwar für alle die, die genauso ungern reisen wie er. Seine Bücher bilden schon eine eigene Reihe: THE ACCIDENTAL TOURIST, der Tourist wider Willen; wobei darin soviel Zufall wie Unfall steckt. Als Signet schwebt auf dem Einband ein Lesesessel mit Flügeln.

William Hurt als Macon Leary ist der letztmögliche in der Reihe amerikanischer Kinohelden in den Achtzigern. Von ihm geht keine Action mehr aus, er existiert nur noch durch Reaktion. Er bleibt das Zentrum des Films, aber er füllt es nicht aus. Wie ein schwarzes Loch schluckt er alle Fäden, die in Anne Tylers Romanvorlage ausgelegt werden. William Hurt spielt ihn gerade deswegen so brillant, weil er den natürlichen Hang des Schauspielers zur Brillanz radikal unterbindet. Unbewegt und ungerührt läßt er alles auf sich zustürzen, wie ein minimal artist der Schauspielkunst. Wie er sich die Worte abringen muß, als würde ihm jedes einzelne im Mund zu Eiswürfeh gefrieren, das kann man leider nur im Original richtig miterleben. Wobei miterleben vielleicht nicht das richtige Wort für einen Film ist, der auf die Komplizenschaft des Zuschauers pfeift.

Von der JAGD NACH DEM VERLORENEN SCHATZ zu der Kasdan das Drehbuch verfaßt hat, bis zu den REISEN DES MR. LEARY, von Harrison Ford 1981 bis William Hurt 1988: Zwischen diesen beiden Bewegungen liegt das amerikanische Kino unseres Jahrzehnts. Die Risse und Brüche des Abenteuerkinos, die Ford noch überbrückte, sind mittlerweile die Routen, denen Hurts Reise folgt. Die schon bei Spielberg nicht mehr ganz natürlichen Reflexe des Erzählens sind wie die des Helden Macon nun verkümmert. Alle die Anstrengungen, die ein Held vollbringen muß, um sich im Fluß einer Geschichte aufrecht zu halten, kann im Kino kaum mehr einer leisten. Daß einer die Welt stemmen konnte, das ist lange vorbei. Die neuen Helden leiden alle unter einem Pionier Komplex. Das amerikanische Gebot der Eroberung, der Bewegung um jeden Preis, macht sie fertig. Ihr Motto und das des ACCIDENTAL TOURIST (so heißt der Film im Original) hat Warhol ungefähr so formuliert: „Das Schönste an Tokio ist McDonald’s. Das Schönste an Stockholm ist auch McDonald’s. In Peking und Moskau gibt es noch nichts Schönes.“

Wie alle, die gute Ratschläge für andere parat haben, steht Macon seinem eigenen Leben völlig ratlos gegenüber. Sein Sohn ist vor einem Jahr bei einem Überfall erschossen worden, jetzt verläßt ihn seine Frau Sarah (Kathleen Turner), weil er sich weigert, einen neuen Anfang zu suchen. Dann bricht er sich ein Bein und gerät fast ohne sein Zutun an eine ziemlich aufdringliche Hundetrainerin, die etwa so schrill ist wie ihr Name: Muriel Pritchett (Geena Davis). Widerstrebend laßt er sich mit ihr ein, bis plötzlich seine Frau wieder zu ihm zurückkehrt.

Wie die Pendelbewegungen seiner Seele vollzieht sich sein Leben: im Takt eines Metronoms, gleichmäßig und ohne Höhepunkte. Lawrence Kasdan und sein famoser Kameramann John Bailey fangen die mikroskopisch kleinen Veränderungen ein, durch die Macon ganz langsam und kaum spürbar aus dem Takt gerät. Daß es darum geht, daß sich das Leben nicht planen läßt und dem Zufall nicht durch penible Ordnung beizukommen ist, daraus macht der Film kein Geheimnis. Es liegt deutlich sichtbar auf der Oberfläche der Bilder: Ein Narr, wer das Schicksal für Zufall hält. Aber was all den Filmverruckten aus Kasdans Generation wichtig ist, nämlich wie die Dinge im Kino in Bewegung geraten, wird erst darunter sichtbar. Vielleicht haben deswegen alle Filme Kasdans, BODY HEAT, THE BIG CHILL und SILVERADO, so ein untergründiges Aussehen, als spielten sie unter Wasser, wohin das Licht nur durch die Oberflächen gefiltert dringt.

„Einmal in ihrem Flußbett eingeschlossen, läuft eine Geschichte Gefahr, darin zu versickern, wenn man ihr nicht eine andere Dimension gibt, wenn man nicht zuläßt, daß sich ihre Zeit nach außen hin verlängert, dorthin, wo wir, die Protagonisten aller Geschichten, leben. Wo nichts abgeschlossen ist Das hat Antonioni geschrieben, in dessen roter Wüste der Film auch spielen könnte. Es bezeichnet den schmalen Grat, auf dem Kasdan so gekonnt inszeniert. Am Ende steht ein Happy-End „Gebt mir neue Schlüsse“, hat Tschechow einmal gesagt, „und ich erfinde euch die Literatur neu.“

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