09. Januar 1999 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Psycho

Aus dem Reich der Toten

Das Blut ist diesmal rot: Gus Van Sant hat Alfred Hitchcocks PSYCHO neu verfilmt

Wenn man über Hitchcocks PSYCHO redet, muß man erst einmal ein paar hartnäckige Gerüchte widerlegen, die sich wie Wasserdampf über die berühmte Duschszene gelegt haben. Die Kunst des Meisters, heißt es immer wieder, habe gerade darin bestanden, durch geschickten Schnitt beim Zuschauer den Eindruck zu vermitteln, er habe Dinge gesehen, die gar nicht gezeigt werden. Tatsächlich berühre das Messer das Opfer nie, und dessen Brüste seien auch nicht zu sehen. Tatsache ist, daß das Messer den Körper sehr wohl berührt (einmal unterm Bauchnabel) und daß man auch von der rechten Brust mehr sieht, als der Zensur womöglich lieb war. Vor lauter Begeisterung über die Kunstfertigkeit des Master of Suspense stieg die Anzahl der Schnitte bis auf 78 – tatsächlich sind es 45 vom Auftauchen der „Mutter” bis zum toten Auge des Opfers. Eine Einstellung, in der man die Leiche von oben über den Wannenrand fallen sieht, mußte Hitchcock einst herausschneiden – nun kann man sie sehen.

Das Unternehmen ist natürlich die reinste Schnapsidee: Ein Remake von PSYCHO, einem der populärsten Werke der Filmgeschichte, Einstellung für Einstellung, ohne viel daran zu ändern. Eine Hommage an den Meister sollte es sein, ein Angebot an die Nachgewachsenen, die Farbe brauchen, um zu glauben, was sie sehen. Während andere den Originalstoff nur als Sprungbrett für ihre Imagination benutzen – wie zuletzt in EIN PERFEKTER MORD mit Hitchcocks BEI ANRUF MORD geschehen – , hat Regisseur Gus Van Sant die Originaltreue geradezu zur Bedingung gemacht. Das Unternehmen würde ihn überhaupt nur interessieren, wenn ein echtes Remake gemacht werde, also nicht die Geschichte neu erzählt werde, sondern nochmal, und zwar möglichst unter denselben Bedingungen.

Er hat nicht nur wie Hitchcock sechs Wochen Drehzeit veranschlagt, sondern die Szenen auch noch in der gleichen Reihenfolge und nach Möglichkeit an denselben Stellen auf dem Universal-Studiogelände gedreht. Dazu hat er den Vorspann von Saul Bass und die Musik von Bernard Herrmann übernommen. Außerdem gab es vor dem Start keine Pressevorführungen für Journalisten und auch keine Premierenparty – alles wie bei Hitchcock. Nur daß der Meister die Geheimhaltung einst eingeführt hatte, um zu verhindern, daß sich allzu früh herumspricht, daß die Hauptdarstellerin nach einem Drittel daran glauben muß.

Van Sant behauptet sogar, er habe an einer Séance teilgenommen, um Hitchcock zu kontaktieren, der aber nur schwer verständliches Zeug von sich gegeben habe: „Es schien irgendwie mit Technologie zu tun zu haben. ” An der Episode hätte Hitchcock jedenfalls seine Freude gehabt – an dem Film womöglich auch. Schließlich hat Hitchcock selbst einst in Amerika mit DER MANN, DER ZU VIEL WUSSTE ein Remake eines eigenen, englischen Films gedreht, und PSYCHO war explizit entstanden, um auf veränderte Publikumsbedürfnisse und -gewohnheiten zu reagieren – womit ein Remake jederzeit zu rechtfertigen ist. Das Eigenartige an Van Sants PSYCHO ist jedoch, daß er dies gerade nicht tut.

Wohl ist das Blut nun rot, aber ansonsten hält sich diese Fassung mehr oder weniger Wort für Wort und Bild für Bild ans Original. Das führt dazu, daß die Geschichte irgendwie untermotorisiert wirkt, als habe jemand vergessen, die Handbremse zu lösen. Umso mehr, als Gus Van Sant bisher immer wieder für einen frischen Blick auf die Dinge gut war. Stattdessen wirkt der alte „Psycho” frischer, kräftiger und irgendwie auch farbiger als der Farbfilm, der mit vereinzelt grellen Tupfern vor gedecktem Hintergrund arbeitet. Man kommt sich vor wie in einem Aquarium, in dem alle Farben unwirklich und alle Bewegungen verlangsamt erscheinen. Der Verfremdungseffekt ähnelt dem Projekt des Künstlers Douglas Gordon, der in 24 HOURS PSYCHO den Film mit zwei Bildern pro Sekunde vorführte.

Und doch liegt gerade in solchen Effekten der Reiz dieser Neuverfilmung, in der Ungeheuerlichkeit des Unterfangens, in der Unverhältnismäßigkeit der Mittel, in der Unsinnigkeit dieses Duplikats. Im Unterschied zu anderen Remakes, die im Grunde immer auf eine Art Kräftemessen hinauslaufen, scheint hier jedes Bild eine Reibungsfläche anzubieten, an der sich der Blick entzündet.

Irgendetwas stimmt nicht an der Art, wie sich Hitchcocks Einstellungen über die Gegenwart legen, als würden sich die Bilder in ihrer Haut nicht recht wohl fühlen. So kann man anhand dieses Films ermessen, wie sich unser Verhältnis zum Raum und die Art, wie wir uns darin bewegen, verändert haben. Was wie eine Unpäßlichkeit des Films wirkt, ermöglicht uns erst einen Blick auf uns selbst.

„Die neue Version”, sagt Van Sant, „zeigt wie ein Spiegel den Originalfilm – sie ist eine Art schizophrener Zwilling. ” Etwas hat sich verändert, verschoben, verrückt. Und zu sehen, daß und warum man eine Geschichte wie PSYCHO so nicht mehr erzählen kann, ist ein viel interessanteres Erlebnis als so manches Remake, das sich auf der Höhe seiner Zeit wähnt. So betrachtet hatte Van Sant völlig recht, als er sich ausbedungen hat, etwas zu versuchen, was in der Form noch keiner gewagt hatte: einen erwiesenermaßen guten Film unter ähnlichen Bedingungen fast eins zu eins auf die Leinwand zu bringen, um zu erleben, wie unsere Wirklichkeit darauf reagiert. Das Projekt findet sozusagen erst im Scheitern zu sich – das war den Versuch wert. Und im Abspann bedankt sich Van Sant bei seinem Regiekollegen John Woo für dessen Küchenmesser – auch das hätte Hitchcock gefallen.

PSYCHO, USA1998 – Regie: Gus Van Sant. Buch: Joseph Stefano. Kamera: Chris Doyle. Schnitt: Amy Duddleston. Musik: Bernard Herrmann, Danny Elfman. Darsteller: Vince Vaughn, Anne Heche, Julianne Moore, Viggo Mortensen, William H. Macy. UIP, 104 Minuten

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