15. April 1985 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Der Missionar

Der schlechteste Butler der Welt

Figuren statt Handlung: Michael Palins Film DER MISSIONAR

Wir schreiben das Jahr 1906: Die Fallhöhe zwischen Bürgertum und Gosse ist so hoch, daß manch anständiges Mädchen nicht einmal ahnt, was sich hinter den bürgerlichen Abgründen auftut. Eine Zeit, in der Sex für ehrbare Leute kein Thema war und folglich die Prostitution blühte. Da es sich bei DER MISSIONAR um eine Komödie handelt, liegt es nahe, daß – wenn es um Prostitution geht – ein Missionar die Hauptrolle spielt.

Charles Fortescue bekommt nach seiner Rückkehr aus dem heidnischen Afrika den Auftrag, im Londoner Hafenviertel ein „Haus für gefallene Frauen“ einzurichten. Daß er dabei der Kirche nicht allzuviel Ehre machen wird, ahnt man bereits in der ersten Einstellung: Ein Hausmeister streicht den Namen Fortescue aus einer Wandtäfelung, auf der in Goldprägung die Absolventen der theologischen Fakultät verzeichnet sind.

Michael Palin, Mitglied der englischen Komikertruppe Monty Python, spielt in DER MISSIONAR nicht nur die Titelrolle, sondern hat den Film auch produziert und geschrieben. Im Bewußtsein, welche Gefahr solch ein Alleingang birgt, verpflichtete er für die Regie Richard Loncraine, der – von zwei Kinofilmen abgesehen – bisher in der Hauptsache fürs Fernsehen arbeitete. Zwar gelingt es Loncraine, den Schauspieler Palin in den Griff zu kriegen, nicht jedoch den Drehbuchschreiber. Kaum einer Szene merkt man an, daß sie mehr sein will als nur Bebilderung des geschriebenen Entwurfs. Womit allerdings nicht nur die Regie ihre Schwächen offenbart. Denn Palin hat es nicht geschafft, die wie bei Monty Python aneinandergereihten Pointen aufzulösen in eine Geschichte, die er erzählen will. Mit jeder neuen Figur verliert er sich in einem weiteren Handlungsstrang und nimmt damit in Kauf, die begonnene Geschichte schließlich mit Gewalt zu Ende bringen zu müssen.

Eine dieser Figuren ist Slatterthwaite (Michael Hordern), der schlechteste Butler des britischen Empire. Die herrschaftliche Architektur der englischen Landsitze bereitet ihm Probleme, denn sein Orientierungssinn versagt angesichts der Vielzahl von Zimmern und Fluren regelmäßig. DER MISSIONAR bezieht seinen Witz aus der Beiläufig- und Beharrlichkeit, mit der sich solche Situationen ständig wiederholen. Ein wahrhafter running-gag.

So ordnen sich nicht die Figuren der Handlung unter, sondern die Handlung den Figuren. Wogegen nichts zu sagen wäre, wenn Palin/Loncraine sich mehr für das Personal des Films interessieren würden. Doch sie reduzieren jeden auf seine Ticks und Angewohnheiten: Die Verlobte versieht in ihrem Ordnungsfimmel Fortescues Herzenskorrespondenz mit Aktenzeichen, der Bischof versucht eine Hockeymannschaft gegen die Methodisten aufzustellen usw. Aber alle diese Figuren laufen eben nur zufällig durch die nachviktorianische Kulisse; ihre Macken wären nicht weniger witzig, spielten sie sich vor heutigem Hintergrund ab. Und außerdem: Eine Ansammlung kurioser Figuren macht halt noch keinen ganzen Film.

(In München im Isabella)

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