19. März 1985 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Menschen am Fluß

Die harte Schule der Frauen

Mark Rydells Film MENSCHEN AM FLUSS ohne Sinn für Räume und Bewegungen

Man kann ihnen wahrlich nicht vorwerfen, sie unterstützten die Politik ihres Präsidenten. Die Wertbegriffe mögen zwar die gleichen sein, ihre Kritik an der Situation der Farmer im Mittleren Westen ist jedoch unübersehbar. Hollywoods neue Heimatfilme – Mark Rydells THE RIVER, Robert Bentons PLACES IN THE HEART und Richard Pearces COUNTRY – haben allen Grund, sich mit der Landwirtschaft des Midwest auseinanderzusetzen: Den Farmern dort geht es so schlecht wie zuletzt während der Depressionsjahre; Bevölkerungsschwund, Schuldenzuwachs und Zunahme der Bankrotte. Subventionsstreichungen werden die Lage weiter verschlimmern.

Hollywood kritisiert diese Mißstände in seinen Filmen, die populäre Bearbeitung tut dem keinen Abbruch. Daß dabei die Suche nach den Ursachen nicht bis ins Weiße Haus führt, ist nichts Neues. Gezeigt werden nur die Auswirkungen der Politik: Zwangsversteigerungen, Arbeitslosigkeit und ein wachsendes Landproletariat. Die Schuld, so wird es in „Menschen am Fluß“ dargestellt, liegt bei Grundstücksspekulanten, Saat- und Getreidehändlern, deren Einzelinteressen von Institutionen wie Banken und Senatoren unterstützt werden. Den Kampf haben die Farmer und Farmerinnen möglichst auf einem Gelände zu führen, wohin die Arme der Institutionen nicht reichen, das heißt: Unnachgiebigkeit und bedingungsloser Kampf des einzelnen, allem Unbill zum Trotz. Das hat das Land ja schließlich groß gemacht.

Mark Rydell (AM GOLDENEN TEICH, THE ROSE) erzählt in „Menschen am Fluß“ eine ebensolche Geschichte; vom unbeirrbaren Kampf einer Farmerfamilie gegen einen Großunternehmer (hoffnungslos fehlbesetzt Scott Glen), der seine wirtschaftliche Macht und seine Beziehungen dazu ausnützen will, alle Farmer aus ihrem Tal zu vertreiben, um dort einen Staudamm zu bauen, der das nötige Wasser für die eigenen Felder liefern soll. Und natürlich auch vom Kampf gegen die Naturgewalt, den Fluß, der bei starken Regenfällen die Felder überschwemmt. Doch mit diesem Schicksal hadert die Familie Garvey mit keinem Wort, denn der Fluß ist Teil der Natur, Teil des Bodens, auf dem sie leben und sterben wollen wie ihre Väter. Was Gott gegeben, hat der Mensch nicht zu kritisieren.

MENSCHEN AM FLUSS stellt den Wunsch nach Einfachheit und Selbstbescheidung, die Sehnsucht nach intakter Familie, nach Einheit mit sich selbst und der Natur dar. Das mag zwar eine unzeitgemäße Reduktion der Welt, eine unrealistische Flucht vor den Problemen der großstädtischen Gesellschaft, reines Wunschdenken sein, doch Kino hatte ja immer schon mit Wünschen zu tun. Und vor allem: Was wäre das für eine Realität, die sich auf amorphe Großstadtstrukturen beschränkt. Zu kritisieren ist also weniger, was dieser Film zeigt, sondern vielmehr wie er es zeigt.

Was die Werbung als „episch“ ankündigt, stellt sich als Lieblosigkeit im Umgang mit der Geschichte heraus. Diese besteht aus einer Abfolge von Szenen, die die lineare Erzählung nur mühsam zusammenhält. Immer interessieren Rydell die Bilder mehr als deren Rhythmus. Der Film braucht eine gute Stunde, bis er halbwegs ein eigenes Tempo findet. Hinzu kommt, daß die Bilder nichts über das Gezeigte hinaus erzählen. Als Tom (Mel Gibson) den Winter über – ohne zu wissen, daß er als Streikbrecher eingesetzt wird – in einer Stahlfabrik arbeitet, unterscheidet diese Bilder nichts von denen des Landes. Und das, obwohl doch so überdeutlich die Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit kritisiert wird: „Was produzieren wir hier eigentlich?“ – „Ich weiß nicht. Ob Pißschüsseln oder Atombomben, ist mir auch egal. Hauptsache, ich kriege mein Geld.“ Selten einmal wird die weite Landschaft in einer Panorama-Einstellung oder einem längeren Schwenk gezeigt, statt dessen zersplittert die Montage eine mögliche Einheit. Insofern paßt das zu Vilmos Szigmonds (immerhin schon bei THE DEER HUNTER) Kamera, die bemerkenswert unmotiviert agiert. Ohne jedes Interesse für Räume oder Bewegungen.

Wie in den anderen beiden Heimatfilmen spielt die eigentliche Hauptrolle die Frau, Mae Garvey (Sissy Spacek), die ihren Mann während der Fabrikarbeit auf der Farm vertritt, und alle Arbeit selbst verrichtet. Die Frau als Garant einer intakten Familie, als Beweis, daß in der Not jeder von Nutzen ist, sofern er bereit ist zu kämpfen. Also auch die Illustration eines Mythos, auf den sich Amerika soviel zugute hält everyone can make it. Nicht umsonst wird der neue amerikanische Puritanismus in der Hauptsache von Frauenverbänden getragen.

In einer Szene liegt Mae Garvey, den Arm im Zahnradgetriebe eingeklemmt, unter einer Saatmaschine, ohne Aussicht auf Befreiung. Da taucht ein Stier auf, dem sie solange Werkzeug an den Kopf wirft, bis er den Traktor rammt und sie freikommt. Das funktioniert dann fast schon wie ein Comic strip. So vereinfacht will man die Welt dann doch nicht sehen.

(In München im Fantasia.)

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mailadresse wird nicht öffentlich angezeigt. Pflichtfelder sind mit * markiert. Mit Absenden Ihres Kommentars werden Ihre Einträge in unserer Datenbank gespeichert. Weitere Informationen finden Sie in unserer » Datenschutzerklärung


2 + zwei =