31. Januar 1994 | Focus Magazin | Filmkritiken, Rezension | Manhattan Murder Mystery

Zum Henker mit Bergman und Fellini!

"Manhattan Murder Mystery“: Woody Allen auf der Suche nach seinen Ursprüngen

Die Erde bebte nicht nur in Los Angeles: Ohne gleich persönlich zu werden, kann man sich leicht vorstellen, daß die Affäre um Woody Allen und Mia Farrow nicht nur im Gefühlshaushalt von New York einem mittleren Beben gleichgekommen ist, sondern vor allem dem Regisseur selber den Boden unter den Füßen weggezogen hat.

Sein neuer Film wirkt zumindest so, als habe er aus den Trümmern seines Lebens all das retten wollen, was an bessere Tage erinnert. So oder so ist Allen in MANHATTAN MURDER MYSTERY auf der Suche nach der verlorenen Zeit.

Es beginnt mit einem Song von Cole Porter und einem Flug über das nächtliche New York, dazu werden einige alte Freundschaften wieder aufgewärmt.

Nicht nur, weil Diane Keaton – von einem kleinen Auftritt in RADIO DAYS abgesehen – zum erstenmal seit MANHATTAN wieder an Allens Seite auftritt, sondern auch, weil der Regisseur wieder zusammen mit Marshall Brickman am Drehbuch gearbeitet hat, der zuletzt an den großen Erfolgen der 70er Jahre beteiligt war.

Einer dieser Erfolge war DER SCHLÄFER, in dem Allen eingefroren wird, um in einer fernen, feindlichen Zukunft wieder aufzuwachen.

Mit MANHATTAN MURDER MYSTERY scheint er aus einer ihm nicht wohlgesonnenen Welt in eine friedlichere Zeit zurückkehren zu wollen, in die Ära des STADTNEUROTIKERS, der aus Komödien große Kunst machte – und nicht umgekehrt.

Wo er sich zuletzt immer verzweifelter einen Reim auf seine Vorbilder zu machen versuchte, da hat er ihnen nun offenbar fürs erste abgeschworen. In seinem neuen Film lauten die Losungen: Zum Teufel mit Fellini! Zum Henker mit Bergman! Zurück zu den Ursprüngen!

Das beginnt schon damit, daß er eingangs händeringend seiner Frau zu bedeuten versucht, eine Einladung des freundlichen älteren Ehepaars von nebenan abzulehnen, weil im Fernsehen ein alter Film mit Bob Hope gezeigt wird.

Hope ist kein schlechter Pate für das, was folgt, weil es in seinen Filmen stets darum ging, aus einem Minimum an Plot ein Maximum an Lachern herauszuschlagen.

In der Biographie von Eric Lax steht, daß Allen und Brickman bei der Arbeit am „Stadtneurotiker“ die Idee verworfen haben, die Helden in einen Fall zu verwickeln, bei dem ein Nachbar seine Frau umgebracht hat.

Es ist gut möglich, daß sich die Autoren daran erinnert und MANHATTAN MURDER MYSTERY geschrieben haben – wobei die Geschichte als Vorwand so dünn ist, daß man sich manchmal fragt, ob nicht alles nur Einbildung ist.

Nachdem Larry und Carol Lipton (Woody Allen und Diane Keaton) die Einladung mehr oder minder mit Anstand hinter sich gebracht haben, erfahren sie am nächsten Morgen, daß ihre Gastgeberin noch in der selben Nacht gestorben ist. Herzinfarkt. Ihr anfängliches Entsetzen weicht bald einem schlimmen Verdacht, daß irgendetwas nicht stimmen kann. Und der Film erzählt davon, wie sich dieser Verdacht langsam verselbständigt.

Die Tür zum Flur ist für Woody Allen, was für Hitchcock das „Fenster zum Hof“ war. Dort steigert sich ein an den Rollstuhl gefesselter James Stewart ebenfalls in den Verdacht hinein, einer seiner Nachbarn habe seine Frau umgebracht.

Hier ist es Diane Keaton, die mit ihren wilden Theorien nicht mehr zu bremsen ist und Freunde (Alan Alda) und Bekannte (Anjelica Huston) in ihren „Fall“ mithineinzieht.

Es hat also seinen Grund, warum das Finale in einem Kino stattfindet, wo gerade der Schluß von Orson Welles´ LADY FROM SHANGHAI zu sehen ist: Der Film spielt in einem Spiegelkabinett, wo Schein und Wirklichkeit nicht mehr zu unterscheiden sind.

MANHATTAN MURDER MYSTERY scheint an frühere Erfolge anzuknüpfen, aber Allen interessiert sich nicht wirklich für jene Zeit. Sie ist ihm nur Vorwand, die Geschichte eines Paares zu erzählen, das sich auseinandergelebt hat und nun in Spiegelfechtereien nochmal zueinanderfindet. Das ist sehr amüsant – und ein wenig traurig.

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