01. Februar 1993 | Focus Magazin | Filmkritiken, Rezension | Mac

Der sanfte Besessene

Als Schauspieler wurde John Turturro berühmt. Jetzt beweist der Italoamerikaner auch sein Talent als Regisseur – mit MAC

Will man das wahre Abenteuer seiner Filme beschreiben, muß man nur auf seine Hände schauen. Mal verkrallen sie sich ineinander wie zwei wilde Tiere, dann hängen sie so leblos an ihm wie die Holzglieder einer Marionette. Sie können unruhig umherwandern wie Raubkatzen in einem Käfig oder träge daliegen wie Reptilien in der Sonne. Sitzt man ihm dann gegenüber, wirken seine Hände geradezu gezähmt. Man findet in ihren Bewegungen zwar manche Gesten wieder, aber alles in allem agieren sie wie ihr Eigentümer: maßvoll und normal. Woran man sehen kann, daß John Turturro eine Menge Fingerspitzengefühl besitzt.

Passion Familie. Turturro sitzt in der Bar eines Münchner Hotels. Tags darauf muß er nach London fliegen und von dort aus zu Dreharbeiten mit Bill Forsyth nach Marokko. Seine Frau, die Schauspielerin Katherine Borowitz, und sein kleiner Sohn begleiten ihn. Während einer Unterbrechung nimmt er ihn auf den Arm. Daß er den treusorgenden Familienvater nicht nur spielt, kann man ihm getrost glauben. Denn Familie wird bei ihm groß geschrieben. Wie groß, das kann man in MAC sehen, seinem ersten Film als Regisseur.

MAC erzählt über eine Familie von Zimmerleuten, vom Tod des Vaters und davon, wie der älteste Sohn Mac mit seinen beiden Brüder den Sprung vom Handwerker auf dem Bau zum Bauherrn wagt.

Es ist eine Geschichte von Solidarität und Familiensinn, aber auch von Rivalitäten und endlosen Streitereien. Durch die Unbedingtheit, mit der Mac seinen Traum vom Bauen verfolgt, treibt er schließlich die Brüder aus dem Haus, doch am Ende kann er seinem Sohn eines seiner Häuser zeigen und sagen: „Das habe ich mit meinen Brüdern aus dem Nichts gebaut.“ In seinem Optimismus erinnert „Mac“ an die Filme Frank Capras, in denen auch der Glauben des einzelnen an sich selbst und seinen amerikanischen Traum noch Berge versetzen konnte. Turturro zeigt aber auch den Preis, den man dafür zahlen muß: Selbstgerechtigkeit, Verbiesterung, Erstarrung. Der Film ist seinem Vater gewidmet.

„Wenn mein Vater etwas tat, dann verschrieb er sich dem mit Leib und Seele. Meine Mutter erzählte, daß er noch auf dem Sterbebett im Delirium Leute herumkommandierte, als wäre er auf dem Bau. Das waren auch seine letzten Worte. Weil er glücklich gewesen war, wenn er seine Arbeit tat.“

Diese Szene auf dem Sterbebett kommt auch in „Mac“ vor, und man sich vorzustellen, daß diese Geschichte, an der Turturro zehn Jahre lang mit seinem Co-Autor Brandon Cole gearbeitet hat, zu großen Teilen seine eigene ist. Auf die Frage, ob er dabei nicht versucht war, allzu Persönliches aus seiner Familie zu meiden, antwortet er: „Ich habe versucht, ziemlich aufrichtig zu sein, Gutes wie Schlechtes zu zeigen. Unter Umständen gibt es trotzdem Sachen, an die ich in diesem Film nicht rühren wollte. Ich habe sicher nichts glorifiziert. Außerdem gab es Fälle, da war der Film zu nah an der Wirklichkeit, und es funktionierte einfach nicht. Deshalb mußten wir zum Beispiel auf eine sehr lustige Szene verzichten. Natürlich gab es auch schmerzhafte Bereiche, aber ich habe da keine Scheu, mich bloßzustellen. Meine Mutter mochte den Film. Und wenn mein Vater noch am Leben wäre, so würde auch er seine Familie darin erkennen. Dennoch ist der Film persönlich und universell zugleich.“

Wenn Turturro redet, dann zielt er immer eher aufs Universelle ab, eher aufs Allgemeine als aufs Anschauliche. Er hat jenen nasalen Tonfall, den er in Filmen so wirkungsvoll ins Bedrohliche wie ins Unbedarfte verschleppen kann, und jenen etwas schiefen Mund, der genauso gut für Verschlagenheit wie für Minderbemitteltheit eingesetzt werden kann.

Seine Rollen bewegten sich bislang vor allem zwischen diesen beiden Polen. Nachdem der New Yorker die Yale Drama School abgeschlossen hatte, weil sein Interesse am Sport durch eine Handverletzung beendet worden war, tauchte er Mitte der Achtziger erstmals in kleinen Rollen in großen Filmen auf – in Susan Seidelmans SUSAN…VERZWEIFELT GESUCHT, William Friedkins LEBEN UND STERBEN IN L.A, Scorseses DIE FARBE DES GELDES oder Woody Allens HANNAH UND IHRE SCHWESTERN. Es zeichnete ihn also schon damals ein Gespür für die richtigen Regisseure aus. Und man muß nur gesehen haben, wie er bei Scorsese im Billard gegen Tom Cruise den kürzeren zieht, um zu wissen, daß er wie geschaffen ist für jene Typen, deren Mund größer ist als ihr Talent, für Zuträger, Schläger und andere Hintergrundfiguren. Aber Turturro ließ sich nicht festlegen, spielte einen Revolutionär in Michael Ciminos DER SIZILIANER und einen Psychopathen in Tony Bills FIVE CORNERS, einen Rassisten in Spike Lees DO THE RIGHT THING und einen Nachtclubbesitzer in MO´ BETTER BLUES, einen Polizisten in Phil Joanous IM VORHOF DER HÖLLE und einen Killer in Joels Coens MILLER`S CROSSING. Er wurde von Mal zu Mal präsenter, spielte sich in den Vordergrund mit seinem sanften Aussehen und seiner obsessiven Art.

Die einzige wirklich negative Erfahrung hatte er bei Ciminos SIZILIANER: „Aber letztlich zahlte sich der Film für mich doch aus, weil die Familie meiner Mutter aus Sizilien kommt. Ich habe dort reiten gelernt und die Orte gesehen, von denen sie immer erzählt hat. Außerdem habe ich aus der Arbeit mehr gelernt als bei erfreulicheren Projekten. Die Leute dort hatten Angst, aber nicht im kreativen Sinne. Wo Respekt entstehen sollte, gab es nur Druck. Man darf als Regisseur nie den Kontakt verlieren und sich über alles stellen.“

Mehr Familiensinn fand Turturro bei Spike Lee und den Gebrüdern Joel und Ethan Coen, deren Stammschauspieler er wurde. Bei Lee spielte er in JUNGLE FEVER den Sohn eines Rassisten, der in der Auseinandersetzung zwischen Schwarz und Weiß als einziger den Mut zur Utopie aufbringt, und bei den Coens trat er als BARTON FINK in der Rolle seines Leben auf.

Nicht nur die Geschichte eines Drehbuchautors, der in Hollywood mit den Alpträumen seiner Schreibhemmung konfrontiert wird, erinnert an Kafka, vor allem Turturro selbst wirkte wie ein Sohn des Schriftstellers. Nicht etwa, weil er irgendeine Ähnlichkeit hätte, sondern weil sich in seiner Erscheinung dasselbe schüchterne Lächeln und diese linkische Präsenz findet wie auf den Photos von Kafka.

Turturro und sein eigentümlicher Gang, der immer so wirkt, als habe er offene Schuhbänder, fänden sicher eher einen Platz in Kafkas paranoidem Universum als Jeremy Irons, der den Dichter unlängst gespielt hat.

MAC lebt in einer Welt, in der Träume nicht zu Alpträumen werden. Dieser Zimmermann aus Queens, der ständig in Streitereien gerät, weil er von anderen genausoviel fordert wie von sich selbst, lebt und liebt nur für die Arbeit. Ein ungewöhnlich optimistischer Film ist John Turturro da gelungen, der ganz gut zu Bill Clintons Amtsantritt paßt. Es gibt genügend Raum und Freiheit, sagt er, um Verantwortung zu übernehmen.

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