08. Januar 1993 | Die Zeit | Filmkritiken, Rezension | Bitter Moon & Verhängnis

BITTER MOON von Roman Polanski, VERHÄNGNIS von Louis Malle

Tragödien lächerlicher Männer

Heutzutage will sich bei der Liebe keiner mehr die Finger schmutzig machen. Deshalb begnügt man sich mit schmutzigen Phantasien. Oder mit dem, was man dafür hält. Im Zeitalter der Berührungsängste befassen sich die Künste um so intensiver mit dem Austausch von Körpersäften. So wurde Sex als Buch weltweit ein Bestseller, während er als Freizeitbeschäftigung mehr und mehr zum Ladenhüter verkommt. Spätestens seit Madonna muß es heißen: Erotika statt Erotik.

Auch das Kino folgt dem Lustprinzip. Durch BASIC INSTINCT, DER LIEBHABER oder SALZ AUF UNSERER HAUT ist der Geschlechtsverkehr wieder mehrheitsfähig geworden. Aber verglichen mit DER LETZTE TANGO, REICH DER SINNE oder TÜRKISCHE FRÜCHTE wirken diese Filme, als hätte man der Kamera ein Kondom übergezogen: Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.

Roman Polanskis BITTER MOON und Louis Malles VERHÄNGNIS bereiten die niederen Instinkte für den gehobenen Geschmack auf. Sie erzählen von Sex und Abhängigkeit und enden tödlich. Dabei geht es weniger um die Macht der Liebe als ums Gesetz der Begierde, weshalb sie beide auf Erfüllung drängen. Der fatale Ausgang ist ihnen von Anfang an eingeschrieben, und für die Liebe gibt es keine Bleibe. In BITTER MOON erzählt ein Amerikaner auf einer Kreuzfahrt von vergangenen Ausschweifungen mit seiner hübschen jungen Begleiterin. Damals war er noch nicht querschnittsgelähmt. In VERHÄNGNIS trifft ein englischer Politiker eine junge Frau, mit der er eine heftige Affäre hat. Obwohl sie die Verlobte seines Sohnes ist. Beide Filme sind also Tragödien lächerlicher Männer.

Roman Polanski wird, Louis Malle wurde sechzig. Der Pole lebt mit Emmanuelle Seigner in Paris, der Franzose mit Candice Bergen in Beverly Hills. Beide sind Kosmopoliten, deren Filme auf die eine oder andere Weise von Fremdheit handeln und davon, daß die Liebe mitunter die einzige Heimat ist, die Fremden bleibt. Diesmal jedoch bietet sie weder Schutz noch Trost, sondern bringt nur Verderben.

Würden die reifen Helden der beiden Filme sich begegnen, fänden sie einander garantiert zum Kotzen. Denn Peter Coyote ist bei Polanski ein Schwätzer, der sich um Konventionen nicht schert, und Jeremy Irons bei Malle ein Gentleman, der auf Konventionen baut. Gemeinsam ist ihnen allenfalls ihre Selbstgefälligkeit, die sich zur Selbstsucht auswächst. Die beiden Schauspieler sind für diese Rollen wie geschaffen, manchmal wirken sie fast wie Karikaturen. Coyote bekommt das ganz gut, weil BITTER MOON ohnehin als Farce angelegt ist. Irons ist jedoch so sehr die Idealbesetzung für einen Politiker, daß er für keine Überraschung mehr gut ist. Er soll zwar steif und etwas blutleer sein, aber er wirkt eher blaß und ungelenk. Verglichen mit ihm macht Coyote in seinem Rollstuhl eine Figur wie ein Springteufel.

Der lebendigere Film ist BITTER MOON, auch der anregendere. Aber erregender ist VERHÄNGNIS, weil er seine Geheimnisse wahrt. Fast schweigend vollzieht sich der Sturz ins Unglück. Mit jedem hastigen Rendezvous in der Mittagspause wird die Gier größer und die Chance auf Befriedigung geringer. Schon einmal ist bei Malle jemand so unbeirrt ins Verderben gelaufen: Maurice Ronet ist in DAS IRRLICHT an der gleichen Unfähigkeit zu Bindungen zugrunde gegangen. Seine verzweifelte Einsamkeit findet sich wieder auf den Gesichtern von Jeremy Irons und vor allem Juliette Binoche, die so traurig wirkt wie eins von Cocteaus schrecklichen Kindern und genauso grausam. Mit dem Vater verbindet sie so wenig wie mit dem Sohn, aber in der Verbindung ergibt sich eine Konstellation, in der sie ihre Vergangenheit wieder und wieder durchleben kann. Eine Gier nach Auslöschung glüht in ihren dunklen Augen, die auch ohne Worte auskommt.

BITTER MOON hingegen handelt von der verführerischen Macht des Wortes. Der dirty old man Coyote macht sich auf einem Schiff mit seinen Geschichten an einen jungen Briten (Hiigh Grant) heran, der mit dieser Reise mch Istanbul seine schal gewordene Ehe zu retten versucht. Die Frau (Kristin Scott-Thomas) hat allerdings bald das Nachsähen, weil sich der Erzähler nicht abwimmeln läßt. Immer wieder nimmt er seinen unwilligen Zuhörer beiseite, der zwar die Augen verdreht, dann aber doch dem Zudringling in die Kabine folgt. Auch deshalb, weil ihn die Begleiterin (Emmanuele Seigner) des gelähmten Amerikaners fasziniert und er ihr und ihrem Geheimnis näher kommen will. So läßt er sich langsam einspinnen vom Garn der Erzählung und entfernt sich dabei immer weiter von seiner Frau.

Für die jungen Männer, den Sohn in VERHÄNGNIS und den Zuhörer in BITTER MOON, haben Malle und Polanski wenig Mitleid. Sie lassen sie zappeln im Netz ihrer Intrigen, bleiche Gestalten in einer düsteren Welt. Aber wo der Junge bei Malle kaum eine Rolle spielt, da ist er bei Polanski das Zentrum, um dessen Leere alles Erzählen kreist. Alle Phantasien sind auf ihn ausgerichtet, und es scheint manchmal, als wäre der zügellose Erzähler nur für ihn allein da, so wie in anderen Geschichten jeder Mensch im Himmel seinen Engel hat.

So sehen wir in Rückblenden die Geschichte des amerikanischen Schriftstellers in Paris, der im Bus ein junges Mädchen sieht, sie kenrenlernt, mit ihr Monate der Leidenschaft verbringt und sie dann fallenläßt. Wie er in den Rollstuhl geriet und sie an seine Seite, das wird erst später klar. Und nicht immer ist sicher, ob das Ganze nicht nur seine Erfindung ist. Denn die Geschichte wird mehr und mehr zur Falle und die Begleiterin zum Köder darin; und der Zuhörer verliert auf dem schwankenden Schiff nach und nach den festen Boden unter den Füßen. Das ist das wahre Abenteuer dieses Films. Die Schilderungen der sexuellen Ausschweifungen dagegen sind eher abgeschmackt, ganz so wie der Erzähler selbst, der sich weniger durch Geist und Geschick auszeichnet als durch Eitelkeit und Geschwätzigkeit. Dennoch gibt es für sein Opfer kein Entkommen. Die Geschichte sucht sich ihren Zuhörer, um ihn ins Verderben zu ziehen.

Louis Malle war schon besser, Roman Polanski noch nicht. Beide beweisen, daß unser wahres Geschlechtsorgan zwischen den Ohren liegt.

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