09. Mai 1993 | Die Zeit | Filmkritiken, Rezension | Love Field

LOVE FIELD von Jonathan Kaplan

Jackies Schwester

Der 22. November 1963, irgendwo in Dallas. Ein Polizeiwagen jagt aus einer Ausfahrt, die Sirene verhallt in der Ferne. Die Frau am Steuer blickt, als wäre sie aus einem Traum hochgeschreckt und lausche einen Moment in die Stille hinein, auf der Suche nach dem Echo des Geräusches, das sie geweckt hat. Sie stellt den Wagen ab, blickt nach draußen und sagt: „Irgend etwas stimmt nicht.“ Es ist nichts zu sehen. Dann steigt sie aus, in einer unheimlichen Ahnung erstarrt. In Dallas hat man den Präsidenten erschossen. Ein Land ist aus seinem Traum hochgeschreckt.

LOVE FIELD erzählt die Geschichte der texanischen Hausfrau Lurene im November 63 und stellt das Attentat vom Präsidentenkopf auf die Beine von Michelle Pfeiffer. Nicht nach einer Konspiration sucht der Regisseur Jonathan Kaplan in den Schüssen von Dallas, sondern nach Inspiration. Auf der Wasserscheide der amerikanischen Geschichte blickt er nicht zurück im Zorn, sondern nach vorn. Im Alltag der Rassentrennung findet er eine Geschichte, die die Schranken überwindet. Trotzdem bleibt der Film natürlich die reinste Schwarzweißmalerei.

LOVE FIELD heißt der Flughafen von Dallas, wo Kennedy auf seiner letzten Reise landete. In der Menge der Jubelnden steht auch Lurene, die einmal nur Jackie sehen will, der sie sich innig verbunden fühlt, seit sie auch eine Fehlgeburt hatte. Schon unter dem Vorspann hat man mit ihr das Album durchgeblättert, in das sie alle Photos und Zeitungsausschnitte von der Präsidentengattin eingeklebt hat. Dann kommt der ersehnte Moment auf dem Rollfeld, und Lurene verpaßt ihn. Es ist, als würde in diesem Augenblick die Nabelschnur durchtrennt, die sie mit ihrem bisherigen Leben verbindet. Nur weiß Lurene es noch nicht.

Nach LOVE FIELD, dem zwei Jahre alten Nachzügler aus der Konkursmasse von Orion, hat Autor Don Roos SINGLE WHITE FEMALE geschrieben, eine weitere Geschichte zweier Schwestern im Geiste, in der die eine ungefragt ihr Schicksal mit der anderen verknüpft. Wobei die Texanerin Lurene das bessere Ende für sich hat. Auf ihrer Reise zu Kennedys Beerdigung, wo sie Jackie in ihrer Trauer zur Seite stehen möchte, lernt sie einen Schwarzen (Dennis Haysbert) kennen, mit dem sie außer dem Zufall nichts verbindet. Daß die beiden aneinandergeraten, ist weniger eine Sache politischer Überzeugung als menschlicher Regungen.

Für die Rolle der schnatternden texanischen Gans bekam Michelle Pfeiffer zu Recht einen Berliner Bären und ihre dritte Oscar-Nominierung. Unter aufgedonnertem platinblondem Haar schafft sie es, ihrer Jackie Karikatur eine Lebendigkeit zu verleihen, die in der holzschnittartigen Rolle nicht unbedingt angelegt war. Das samtweiche Lächeln im Katzengesicht zwingt der Geschichte ihren Ausdruck auf und läßt LOVE FIELD über manche Stolperschwellen hinweggleiten. Das ist das Wunder der amerikanischen Stars: wie sie die Maske ihrer Schönheit durchsichtig machen und jenseits aller Kunstfertigkeit den Grund ihrer Seele zur Ansicht freigeben. Natürlich ist das love field, von dem die Rede ist, vor allem Michelle Pfeiffers Gesicht: Auf ihm kann man der Liebe beim Spiel zusehen.

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