23. Oktober 1997 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Liebesflüstern

Die Musik des Zufalls

Julie Christie und Nick Nolte in Alan Rudolphs LIEBESFLÜSTERN

Vielleicht genügt ja schon das Gesicht von Julie Christie, um die Leute für diesen Film einzunehmen. Eine Frau, die sich aus ihrer Schönheit kein Gefängnis errichtet hat, sondern ihren Wandlungen jederzeit gewachsen war. Ein Leuchten ist nun um sie, das den Film von Innen heraus erglühen läßt – vielleicht heißt er deshalb im Original Afterglow. Und die Kamera scheint mit jeder Bewegung ihr traumverlorenes Gesicht streicheln zu wollen. Filme von Alan Rudolph sind ohnehin immer auch Liebeserklärungen an seine Schauspieler.

Ob Julie Christie oder Nick Nolte, Lara Flynn Boyle oder Jonny Lee Miller, sie alle genießen die Freiheiten, die Rudolph ihnen läßt, indem er erstmal die Gesichter ihre Geschichten erzählen läßt, ehe er sie den Forderungen seiner Story unterwirft. Sie lohnen ihm diese Aufmerksamkeit mit einer Natürlichkeit, die gerade im Kontrast zum extrem stilisierten Ambiente der Filme umso deutlicher spürbar macht, wie wohl sich die Akteure in ihrer Haut fühlen.

Wechselspiele dieser Art sind Rudolphs Domäne. Keiner balanciert mit so traumwandlerischer Sicherheit auf dem schmalen Grat zwischen Künstlichkeit und Natürlichkeit, Farce und Drama, Ernst und Spiel. Vielleicht ist die Art, wie die stets bewegte Kamera diese Dinge unauflöslich zusammenrührt, einer der Gründe, warum sich Rudolph beim Publikum nie so durchsetzen konnte, wie er es verdient hätte. Seine Filme lassen sich schwer auf einen Nenner bringen.
Die kompliziertesten Geschichten entwickeln sich bei ihm mit einer Selbstverständlichkeit, die alles ganz einfach erscheinen läßt. Und je mehr der Zufall die Dinge verwirrt, desto schicksalshafter scheint alles einer Klärung entgegenzustreben. Wenn also bei Rudolph sich ein Mann und eine Frau in einer Bar treffen, dann kann man sicher sein, daß die betrogenen Ehepartner sich bei der Beschattung in die Arme laufen und selbst eine Affäre anfangen, ohne zu ahnen, wie verstrickt die Angelegenheit ohnehin schon ist. Andere würden aus dieser Konstellation ein biologisches Experiment machen; Rudolph geht es eher um chemische Verbindungen und die wundersamen Reaktionen, die dabei zustandekommen – jenes Feuerwerk namens Liebe.

Man kann die Kräfte, die in seinen Geschichten walten, Schicksal oder Zufall nennen – sicher ist nur, daß ihr Tonfall keine Schicksalsmelodie ist, sondern eher die Musik des Zufalls. Diese Definition trifft Rudolphs Filme insofern ganz gut, als sich darin Planlosigkeit mit Poesie verbindet und das emotionslose Muster zu einer höheren Ordnung findet. Wie sich an einem Faden, den man in ein Glas Salzwasser hängt, mit der Zeit glitzernde Kristalle bilden, so formen sich am roten Faden seiner Geschichte jene schillernden Momente, die dem Chaos des Zufalls ins Gesicht lachen.

Um ein älteres Paar und ein jüngeres dreht sich diesmal alles. Die ältere Frau (Christie) hatte ein Kind, die jüngere (Boyle) will eines. Der jüngere Mann (Miller) kann der Liebe nichts abgewinnen, der ältere (Nolte) lebt nur durch sie. Was wie eine spiegelbildliche Konstellation wirkt, ergibt jedoch Spiegelungen, die sich im Unendlichen verlieren – und am Ende wie in einer Überblendung doch ein neues Bild ergeben. All das Träumen und Sehnen, all das Neigen von Herzen zu Herzen, dient am Ende nur einem Ziel: Alan Rudolph will zeigen, daß jedes Leben ein Märchen ist – es kommt nur auf die Perspektive an. In einer chaotischen Welt ist dies ein ziemlich tröstlicher Gedanke.

AFTERGLOW, USA 1997 – Regie und Buch: Alan Rudolph. Produzent: Robert Altman. Kamera: Toyomichi Kurita. Schnitt: Suzy Elmiger. Musik: Mark Isham. Darsteller: Nick Nolte, Julie Christie, Lara Flynn Boyle, Jonny Lee Miller. Verleih: Concorde-CR/T. 113 Minuten.

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