Die Nackten und die Quoten
Helmut Dietl beschließt mit LATE SHOW seine Trilogie des laufenden medialen Schwachsinns
Wer einen Eindruck davon haben will, wie das aussieht, wenn das deutsche Kino ganz und gar bei sich ist, muß sich nur den Rummel um Helmut Dietls Filme vor Augen halten. Die Stars werden endlich wie Stars behandelt, das Produkt ist auf allen Kanälen präsent, und von den Kritikern kommt auch nur Liebe Liebe Liebe. All das Gejammere, daß es dem deutschen Film schlecht gehe, weil er so oft schlecht behandelt wird, ist hinfällig, wenn man sieht, wie geschmiert die Maschinerie läuft, wenn sich nur alle brav die Hände reichen. Was mit „Late Show” dieser Tage passiert, ist wohl das, was Michael Naumann meint, wenn er vom „Bündnis für Film” redet.
Gottschalk und Schmidt bei Dietl, Dietl und Schmidt und der Kanzler bei Gottschalk, Gottschalk und Dietl dann wahrscheinlich auch bei Schmidt, und Veronica Ferres, die ihren Platz im Rampenlicht für ihre Co-Stars kurzfristig geräumt hat, sowieso bei allen dreien. Über Dietls Film LATE SHOW läßt sich fast nicht mehr reden, weil er vom Wirbel, den er verursacht, kaum mehr zu trennen ist. Vielleicht ist ja genau das sein Trick: Weil das Nachdenken über das Ereignis eine viel schärfere Medienkritik ist als der Film selbst. Und ganz sicher liegt in der Verzahnung von Produkt und Promotion genau jener gewisse Kniff, weswegen sonst Hollywood mit seinen Filmen in aller Munde ist. Dietl weiß nicht nur genau, was er macht, er weiß auch, wie er es verkaufen muß. Und nicht zu Unrecht empfindet er wahrscheinlich einen diebischen Spaß, wenn er sieht, wie seine Rechnung aufgeht und alle mitspielen: „No business like show business. ”
Eine Hand wäscht also die andere, und wer sich darüber aufregt, hat nichts begriffen. Das Fernsehen verkauft zwar die Leute gern für dumm, aber dort ist man schon lange klug genug, um zu wissen, daß es vor allem dann ganz bei sich ist, wenn es sich selbst zum Ereignis macht. Das Fernsehen ist ein System, das bevorzugt um sich selbst kreist und die Nabelschnur zur Wirklichkeit längst gekappt hat. Vorlaute Kritiker werden dort zum Frühstück verspeist – es reicht nicht mal mehr zu einer Rolle als Spielverderber.
Wenn man nur behauptet, der Film sei als Medienkritik reichlich flau geraten, unterschätzt man Dietl vermutlich. Denn daß dem Fernsehen mit herkömmlicher Kritik nicht mehr beizukommen ist, hat schon das traditionelle Kabarett schmerzvoll erkennen müssen. Die wirkungsvollste Kritik am laufenden Schwachsinn des Fernsehens ist immer noch das Fernsehen selbst – verkörpert von Maulwürfen wie Oliver Kalkofe oder Harald Schmidt, die das System von innen heraus aushöhlen, indem sie gnadenlos unter die Gürtellinie schlagen oder mit geradezu dadaistischen Aktionen ungenutzt Sendezeit verstreichen lassen. Auf Kosten des Fernsehens kann man sich nur noch lustig machen, indem man die Sender tatsächlich zur Kasse bittet.
Dietls Interesse kann also nicht wirklich einem Rundumschlag gegen das Fernsehen gegolten haben, weil das Publikum (seiner Filme) schätzungsweise klug genug ist, jene Abgründe des Fernsehens, die nun so wortreich beschworen werden, längst durchschaut zu haben. Daß beim Fernsehen für die Quote mehr oder weniger buchstäblich über Leichen gegangen wird, ist ja wohl ein alter Hut. Und daß in Talkshows die verzweifelte Themensuche in immer abseitigere Gefilde der menschlichen Natur führt, wird auch schon jeder gemerkt haben. Das Herz der Finsternis, in das der Film vermeintlich führt, wird doch bereits allabendlich bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet im Fernsehen ausgestellt.
Dietls wahres Thema – das ist schließlich das Mindeste, was man von einem Autorenfilmer erwarten darf – ist das Thema all seiner Filme: wie Leute sich mit jener Lüge arrangieren, die sie irgendwann für ihr Leben halten, und welchen Preis sie dafür zahlen. Schon immer interessierten Dietl jene Menschen, die im eigenen Saft schmoren, und je mehr er sich dabei mit den Medien beschäftigte, desto hermetischer wurde die Welt seiner Filme: die Münchner Schickeria in KIR ROYAL, die Illustriertenwelt in SCHTONK, die Filmbranche in rOSSINI und nun ein TV-Sender in LATE SHOW. All das war immer so haarscharf an der Realität entlanginszeniert, daß klar sein mußte, worum es nicht geht: nicht ums getreue Abbild der Wirklichkeit, nicht um ein „Who is who” der Branchen, nicht um eine Kritik an den Vorbildern.
Dietl benutzt jenes Verwirrspiel zwischen Welt und Fiktion auf die gleiche Weise, wie auch seine Figuren irgendwann zwischen Wahrheit und Lüge nicht mehr unterscheiden können und wollen. Immer wieder steigern sie sich in etwas hinein, was sie dann fürs wahre Leben halten: die Chefetage des Verlags in SCHTONK, die gemeinsam alle Zweifel an der Echtheit des Führertagebuchs überwindet; die Filmschickeria, die sich allabendlich im ROSSINI gegenseitig irgendwelcher Gefühle versichert, die vom Herzen längst nicht mehr gedeckt sind; und nun Veronica Ferres, die von den Klischees der blonden, blöden Serienschauspielerin angeekelt in ein Bauernhofidyll mit weißen Gäulen und Mondenschein flieht, das keine Werbung abgeschmackter inszenieren könnte. Und all die anderen Idealisten, die irgendwann ihre Seele verkaufen, müssen auch feststellen, daß es kein Zurück gibt. Daß das Wahre, Gute, Schöne ein frommer Wunsch ist, den diese Welt einfach nicht hergibt. Das ist bei Helmut Dietl nicht Zynismus, sondern die reine Verzweiflung.
LATE SHOW fügt sich also maßgerecht in Dietls Universum, aber das kann auf Dauer nicht die Frage verdrängen, ob der Film auch für sich bestehen kann. Und auch wenn es langweilig ist, einem Regisseur stets vorzuhalten, seine früheren Sachen seien besser gewesen, so gilt das doch auch diesmal. Thomas Gottschalk und Harald Schmidt geben ihr Bestes – aber das reicht nur für einen halben Film. Am Ende bleiben sie so blaß wie all die anderen Figuren. Es fehlt ihnen, was die MÜNCHNER GESCHICHTEN oder MONACO FRANZE auszeichnete: ein Herz, das auch wider besseres Wissen des Regisseurs schlägt. Das nennt man Hoffnung. Davon lebt auch das Kino.
LATE SHOW, BRD 1999 – Regie: Helmut Dietl. Buch: Dietl und Christoph Mueller. Kamera: Gernot Roll. Szenenbild: Albrecht Konrad. Musik: Stephan Zacharias. Darsteller: Thomas Gottschalk, Harald Schmidt, Veronica Ferres, Jasmin Tabatabai, Otto Schenk, Dieter Pfaff, Olli Dittrich, Gaby Dohm, Huub Stapel, Ernst Hilbich. Constantin. 111 Minuten.