22. Februar 1999 | Süddeutsche Zeitung | Kunst, Rezension | Douglas Gordon

Kurzes Flackern

Abseits der Berlinale: Eine Installation von Douglas Gordon

Während in den Festivalkinos der Stadt ein Film nach dem anderen unruhig über die Leinwand flackert und die Geschichten rastlos von einem Punkt zum nächsten eilen, kommen in der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe die Geschichten kaum von der Stelle, und die Zeit scheint still zu stehen. In dem gläsernen Museumsbau hängen zwei Videoscreens, die der Künstler Douglas Gordon dort installiert hat: auf der einen sieht man John Wayne in John Fords „Searchers”, auf der anderen das nächtliche Empire State Building, so, wie es Andy Warhol einst stundenlang mit unbewegter Kamera aufgenommen hat. Zwei Bilder, die sich dem Rummel des Festivals auf ganz eigene Weise widersetzen und eine Brücke zwischen der Gegenwart der Berlinale und der Zukunft der Stadt schlagen.

Gordon gehört zu den Grenzgängern des Kinos, die den unruhigen Kinobildern stets auf verblüffende Weise neue Qualitäten abzugewinnen verstehen. Und so, wie er einst Hitchcocks PSYCHO zum 24-Stunden-Film zerdehnt hat, so hat er hier in seiner Videoinstallation „5 year drive-by v. Bootleg (Empire)” dem Kino eine andere Geschwindigkeit verliehen. Während er Warhols EMPIRE, einen der längsten Filme der Filmgeschichte, so beschleunigt hat, daß die Spitze des Wolkenkratzers unruhig in der Nacht zittert, hat er Fords Western so verlangsamt, daß jedes einzelne Bild 14 Minuten lang zu sehen ist. In den 47 Tagen, die diese Installation hier zu sehen ist, kommt der Film gerade von der 29. bis zur 34. Minute – in voller Länge würde er nun fünf Jahre lang dauern.

Indem Gordon den SEARCHERS auf dem Ritt durch die Wüste ihren Drive nimmt, scheinen auch die Bilder zu versteinern. Was einst Bewegung war, ist jetzt nur noch als Erosion wahrnehmbar. Aus den flimmernden Lichtgeschöpfen werden Geister, die irgendwie einem anderen Kult als die Irrlichter der Berlinale zu huldigen scheinen. Und die Gegenüberstellung von Fords Monument Valley und Warhols New York scheint auch zwei Fluchtpunkte für die durch die Fenster in der Ferne sichtbare Baustelle um den Potsdamer Platz zu bilden. Zwischen reiner Natur und totaler Zivilisation, zwischen unendlicher Langsamkeit und rasanter Beschleunigung scheinen die Berliner Bauarbeiten zu einem winzigen Augenblick in einer größeren Entwicklung zusammenzuschrumpfen – und das Festival ist ohnehin nur ein kurzes Flackern im ewigen Kreislauf von Nacht und Tag.