03. Dezember 1997 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | L.A. Confidential

Die Vertreibung aus dem Paradies

L.A. 
vertraulich

Curtis Hanson verfilmt James Ellroys düsteren Roman L.A. CONFIDENTIAL

Einmal wird der Polizist, der sonst nie um eine Antwort verlegen ist, gefragt, warum er Polizist werden wollte. Da hält er einen Moment inne, scheint den Blick durch seine Seele schweifen zu lassen und antwortet, kurz bevor aller Ausdruck aus seinem Gesicht gewichen ist: „Ich kann mich nicht erinnern.”

Es gehört schon ein großer Schauspieler wie Kevin Spacey dazu, damit aus so einem Moment ein Höhepunkt wird. Und es gelingt auch nur guten Regisseuren wie Curtis Hanson, aus solchen Augenblicken ein echtes Abenteuer zu machen. Fast hat man dabei den Eindruck, der Herzschlag des Films setze einen Takt aus, um danach mit erhöhtem Puls weiterzuschlagen. Die Antwort ist gar nicht so überraschend, aber für den Bruchteil einer Sekunde entsteht die Hoffnung, es könnte anders sein. Für die Erkenntnis, daß es für solche Fragen dennoch nie zu spät ist, zahlt der Polizist am Ende einen hohen Preis.

Dieser einsame Moment erzählt im Grunde schon die ganze Geschichte des Films. Es geht darin um Menschen, die vergessen haben, warum sie wurden, was sie sind. Daß es in der Hauptsache Polizisten sind, ändert nichts an der Tragweite der Frage. Denn letztlich geht es um eine ganze Stadt, die ihre Ursprünge aus den Augen verloren hat, und um ein Jahrzehnt, dem seine Unschuld abhanden gekommen ist. Die Cops sind nur die Figuren, an denen sich das am deutlichsten festmachen läßt.

Drei Polizisten stehen im Vordergrund: der Musterknabe Exley (Guy Pearce), der Rabauke White (Russell Crowe) und der Blender Vincennes (Kevin Spacey). Sie geraten in ein Labyrinth von Korruption und Prostitution, Mord und Rufmord. Das wäre aber alles nicht halb so aufregend, wenn die Geschichte nicht ausgerechnet im Los Angeles der frühen fünfziger Jahre spielen würde, also in einem Grenzbezirk zwischen Träumen und Skandalen, Fortschrittseuphorie und allgegenwärtiger Paranoia. In jenen Jahren, so erzählt es L.A. CONFIDENTIAL, wurde aus dem Paradies der Strände und Orangenhaine, das im Vorspann noch beschworen wird, jenes Sodom und Gomorrha, das man heute kennt.

Wo CHINATOWN und seine Fortsetzung THE TWO JAKES noch Wasser und Öl und den damit zusammenhängenden Grundstückshandel als treibende Kräfte für die Vertreibung aus dem Paradies festmachten, da ist es hier der Handel mit Bildern, der die Stadt verwandelt hat. Hollywood hat in Los Angeles schon früh den Ton angegeben, aber in den Fünfzigern scheint die ganze Stadt nach seiner Pfeife zu tanzen. Das Police Department hat längst begriffen, daß Image vor Gerechtigkeit geht, und mancher verdient wie Vincennes sein Zubrot als Berater für Polizeiserien wie DRAGNET oder BADGE OF HONOR. Skandalblätter wie das fiktive Hush Hush oder das reale titelgebende Vorbild L.A. CONFIDENTIAL nähren sich ohnehin von Aufstieg und Fall der Stars und Sternchen. Und selbst die Prostitution profitiert vom Handel mit den Illusionen, indem sie ihre Mädchen nach dem Vorbild von Stars modelliert, so wie Kim Basinger hier als Remake von Veronica Lake ihre Dienste verkauft. Der Ausdruck Traumfabrik bringt diese Aspekte zusammen, den körperlosen Schein und die handgreifliche Realität.

Es ist sicher das größte Verdienst von Regisseur Hanson und seinem Autor Brian Helgeland, durch den Dschungel von James Ellroys tollwütiger Prosa Schneisen geschlagen zu haben. L.A. CONFIDENTIAL (1990) ist der dritte Teil einer Tetralogie, in der Ellroy die Geschichte der Stadt Los Angeles als ewigen Kampf zwischen Tag und Nacht, Gut und Böse schildert und dabei aus jedem Herz buchstäblich eine Mördergrube macht. Aus dieser Art auf Hochglanz polierter PULP FICTION hat Hanson einen Thriller gemacht, der an der Oberfläche ähnlich glitzert, aber dennoch auf andere Weise unter die Haut geht. Was bei Ellroy oft nur Wahn ist, bekommt hier einen Sinn.

Wo die meisten Thriller den Film Noir mit allerlei düsteren Effekten auferstehen lassen wollen, da hat Hanson begriffen, daß das Genre nicht nur von Atmosphäre lebt, sondern auch von Gesten und Gesichtern. Also hat er für sein Team und die Schauspieler vor Beginn der Dreharbeiten ein kleines Festival von Filmen veranstaltet, die illustrieren sollten, wonach er suchte: Minnellis STADT DER ILLUSIONEN, Don Siegels Filme, Nicholas Rays EINSAMER ORT, Aldrichs RATTENNEST und Kubricks DIE RECHNUNG GING NICHT AUF. Dann hat er seinen Leuten gesagt, sie sollten alles vergessen, was sie gesehen haben. Er wollte nicht den musealen Look, in dem sich viele Remakes der Fifties gefallen, sondern lediglich Hintergründe, in die sich die Schauspieler einfühlen sollten. Er suchte jene Art von Atmosphäre, die er in Robert Franks Photoband The Americans gefunden hatte, in dem die Gesichter mindestens so viel von der Zeit erzählen wie das Ambiente.

Die Gesichter sind auch wirklich aufregend: Die relativ unbekannten Russell Crowe (Romper Stomper) und Guy Pearce (Priscilla) schaffen es, in ihren Gesichtern ein Echo aus den Fünfzigern aufzufangen und gerade durch ihre offensichtlichen Mängel zu faszinieren. Kim Basinger strahlt jenen Glanz aus, der bereits von seiner Vergänglichkeit weiß. Und Kevin Spacey hat nach Aussage seines Regisseurs zusammen mit dem Drehbuch zwei Worte mit auf den Weg bekommen: „Dean Martin. ” Und genauso spielt Spacey den korrupten Cop auch: als Mann, der hinter seinem allzu gewinnenden Auftreten irgendwann seine Seele verloren hat.

In Amerika ist man sich einig, daß es so einen Film schon lange nicht mehr gegeben hat, und zählt ihn deshalb bereits zu den Oscar-Favoriten. Richtig ist, daß heutzutage in Hollywood nur noch selten Filme entstehen, die ihre Figuren bis zum Ende ernst nehmen und sie nicht bei erstbester Gelegenheit fallen lassen. In einer Zeit, in der die meisten Filme so erzählen, als wollten sie nur Munition für den Showdown sammeln, ist ein Film wie L.A. CONFIDENTIAL.

L. A. CONFIDENTIAL, USA 1997 – Regie: Curtis Hanson. Buch: Brian Helgeland und Hanson nach dem gleichnamigen Roman von James Ellroy. Kamera: Dante Spinotti. Musik: Jerry Goldsmith. Darsteller: Kevin Spacey, Russell Crowe, Guy Pearce, James Cromwell, David Strathairn, Kim Basinger, Danny DeVito. Verleih: Warner Bros. 135 Minuten.

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mailadresse wird nicht öffentlich angezeigt. Pflichtfelder sind mit * markiert. Mit Absenden Ihres Kommentars werden Ihre Einträge in unserer Datenbank gespeichert. Weitere Informationen finden Sie in unserer » Datenschutzerklärung


fünfzehn − 14 =