19. Februar 1997 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Das ist die Liebe der Franzosen

Filme von Yolande Zauberman und Manuel Poirier: Clubbed to Death und Marion

Zwei Filme, deren Geschichten ein Nichts an Bewegung und Fortschritt sind; nichts als diskreter Charme und verzweifeltes Sehnen. In beiden Filmen ahnt man lange nicht, wo überhaupt die Geschichte liegt, so beiläufig blicken sie sich in ihrer Welt um: in einem Techno-Palast der Pariser banlieu in Yolande Zaubermans CLUBBED TO DEATH, in einem Dorf der Normandie in Manuel Poiriers MARION. Erst langsam kristallisieren sich Konstellationen heraus: Spannungen, Beziehungen, Konflikte. Und plötzlich entspinnen sich mehrere Geschichten, die einander bedingen, sich überlagern, verwickeln. Aber in der Hauptsache lebt alles vom Rhythmus, in dem die Herzen dieser beiden Filme schlagen.

Rhythmus ist bei Yolande Zauberman ohnehin alles. Schon wenn am Anfang ein Bus nächtens seine Endstation erreicht, liegt ein so harter Beat über diesem Bild, daß die tragende Rolle der Musik außer Zweifel steht. Ein Mädchen (Elodie Bouchez aus WILDE HERZEN) erwacht aus dem Schlaf, wird vom Busfahrer unsanft vor die Türe gesetzt und findet sich in einem düsteren Traum wieder, den grelle Blitze durchzucken. Ein Junge liest sie von der Straße auf und nimmt sie mit in eine boîte de nuit, einen Technoclub, wo sie ihn bald aus den Augen verliert und sich vom Rausch der Ecstasy-Tablette, die ihr in die Hand gedrückt wird, treiben läßt. Dabei gerät sie an einen älteren Marokkaner, der von ihr eigentlich gar nichts wissen will, den sie aber auch am nächsten Tag nicht mehr aus dem Kopf kriegt. So kehrt sie zurück, und plötzlich nehmen ein, zwei, drei Geschichten Form an.

Einmal sieht man den Marokkaner mit dem Mädchen tanzen, dessen Beharrlichkeit ihm imponiert, und die Kamera fährt auf Beatrice Dalle zu, die in einer Ecke steht und angesichts des fernen Glücks heult. Solcherart sind die Geheimnisse dieses Films, der über die Beweg- und Hintergründe seiner Figuren fast nichts verrät. So wird man selbst hineingezogen in diese dunkel lockende Welt am Ende der Buslinien. Wobei die Tatsache, daß die banlieus in Portugal gedreht wurden, ganz erheblich zur Fremdheit des Klimas beiträgt.

Am Anfang von CLUBBED TO DEATH sind nachts zwei Mädchen unterwegs auf der Straße, die Kamera immer vor ihnen her. Sie sagen abwechselnd die Namen von Jungs, und man kann sich vorstellen, daß es die sind, mit denen sie geschlafen haben. Wobei ihr schüchternes Lachen einen aparten Kontrast zur Länge der Aufzählung darstellt. Aber noch viel größer ist natürlich der Kontrast zu der Liebesgeschichte mit dem Marokkaner, die folgen wird.

Liebe – das sieht man hier wieder – ist mehr als nur ein Wort bei den Franzosen. Aus irgendeinem Grund haben die eine andere Beziehung zu solch abstrakten Begriffen, und nirgends wird das so gut sichtbar wie im Kino. Wenn man dem Kino glauben darf, ist dort die Liebe etwas, das man mit Händen greifen kann; etwas, das alle von Kindesbeinen an beherrschen. Schon die Jungen reden darüber mit einem Ernst, der ihre Jugend Lügen straft. Und wenn junge Mädchen den Mund aufmachen, scheint die Leidenschaft von Generationen aus ihnen zu sprechen.

Welten entfernt hat Manuel Poirier seinen Film angesiedelt, in der Beschaulichkeint eines normannischen Dorfes, in dem sich eine Familie mit vier Kindern ein Haus gekauft hat. Die Titelheldin des Films ist Marion, ein zehnjähriges Mädchen, aus dessen Sicht der Film jedoch mitnichten erzählt ist. Sie ist nur ein Spielball der Geschichten, die sich hier entwickeln.

Da ist die Familie des Handwerkers, der Mühe hat, über die Runden zu kommen. Da ist die ältere Schwester, die immer wieder mit ihrem Vater aneinandergerät. Da ist das Pariser Ehepaar aus besseren Verhältnissen, das hier ein Haus hat. Die Ehefrau leidet darunter, keine Kinder zu haben; deshalb hat sie an Marion einen Narren gefressen. Die Kamera scheint sich in keine dieser Geschichten einzumischen. Ungerührt sieht sie zu, wie die Dinge ihren Lauf nehmen.

Die Pariserin (Marie-France Pisier) hat die fixe Idee, sie könnte Marion zu sich in die Großstadt nehmen, damit sie dort in die Schule gehen kann. Deshalb sucht sie immer wieder Kontakt zu Marions Eltern, obwohl sie sich beklemmend wenig zu sagen haben. So treibt die Geschichte unbarmherzig auf einen Eklat zu.

Poirier erzählt diese Geschichte für seine Verhältnisse erstaunlich unpersönlich, aber mit einem bemerkenswert scharfen Blick für das soziale Gefüge des Dorfes. Nach seinem wunderbaren ersten Film LA PETITE AMIE D´ANTONIO und A LA CAMPAGNE hat er diesmal Ausdrucksmittel gewählt, die Marion fast wie eine Fabel wirken lassen. Nahezu abstrakt kommt sein Film daher, so daß man den Eindruck hat, Familie sei mehr als das, was im Zusammenleben sichtbar wird. Sondern auch ein Ding, das man mit Händen greifen kann.

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