17. November 1995 | Die Zeit | Filmkritiken, Rezension | Halbmond

Paul Bowles – HALBMOND von Frieder Schlaich und Irene von Alberti

Unmoralische Erzählungen

Paul Bowles sitzt an seinem Schreibtisch. Die Finger der einen Hand trommeln auf der Tischplatte. Über die andere Hand kriecht eine Schlange. Der Blick des alten Mannes verrät jedoch keinerlei Empfindungen. Als gebe es nichts Selbstverständlicheres, als daß die Schlange, von der seine Geschichte erzählt, einen Weg aus der Fiktion in die Wirklichkeit findet. Ein treffendes Bild entsteht da von Paul Bowles: als Schlangenbeschwörer, der seinen Kreaturen keine Aufmerksamkeit schenkt. Und dabei selber ein wenig aussieht wie ein Reptil.

Kaltblüter sind die meisten von Bowles’ Helden. Ihr Herz scheint nicht zu schlagen, aber ihrem Blick entgeht kaum etwas. Ohne alle Illusionen stellen sie das Leben auf die Probe, indem sie sich ihm vermeintlich fern der Heimat ausliefern. Aber in der Fremde erfahren sie nur, wie fremd sie sich selber sind. Ihre Sehnsüchte, falls sie welche haben, kennen keine Erfüllung, ihre Leiden, falls sie sich die eingestehen, keinen Trost. Wer will, kann das Existentialismus nennen.

Drei Geschichten von Paul Bowles haben Frieder Schlaich und Irene von Alberti in ihrem Debütfilm versammelt. Eine davon – AM STRAND VON MARKALA – hat Schlaich bereits 1993 verfilmt, die anderen beiden kamen hinzu, um das Projekt auf Spielfilmlänge auszudehnen. Nichts verbindet die drei Teile außer der Person des Autors, der in seinen Überleitungen am Schreibtisch allerdings keine Anstalten macht, die Einordnung zu erleichtern. Aber das macht nichts, denn die drei Kurzfilme können auch ganz gut für sich selbst sprechen. Sie wagen eine filmische Lektüre der Erzählungen von Bowles, die sie nimmt als das, was sie sind: eine Anleitung zum Unglücklichsein.

AM STRAND VON MARKALA erzählt von zwei Freunden und einer Frau. Der Eifersüchtige lernt sie kennen und stellt ihre Treue auf die Probe, indem er sie mit seinem Freund allein läßt. Das ist der Faden, der die Bilder lose zusammenbindet, aber natürlich geht es um allerlei anderes: um ein altes Paar Schuhe; um die brüllende Hitze in den Straßen; um das grelle Licht vor verhängten Fenstern; oder um den Unterschied zwischen Alkohol und Kiff. Die Tatsache, daß der Eifersüchtige, der seine Liebe aufs Spiel setzt, scheitert, könnte dazu verführen, hinter der Geschichte eine Moral zu suchen. Aber damit kommt man bei Bowles nicht weit. Er liebt lose Enden und überläßt es stets dem Leser, sie selbst zu verknüpfen.

Das gilt auch für ZWISCHENHALT IN CORAZON, wo ein Ehepaar eine wenig komfortable Fahrt auf dem Amazonas unternimmt, an deren Ende die Frau ihren Mann wortlos sitzenläßt. Über das, was die beiden trennt, werden keine großen Worte verloren. Man sieht bloß, wie die Enge, die Hitze, der Schmutz und der Alkohol an den letzten Resten dessen zehren, was die beiden einst verbunden haben mag.

ALLAL zeigt einen einsamen Jungen am Rande eines Dorfs in der Sahara, der sich an den anderen rächt, indem er sich in eine Schlange verwandelt. Der Film unternimmt nichts, um die Bedeutung dieser Geschichte aufzuhellen. Es ist nur so, daß plötzlich ein wenig Magie in die illusionslose Welt von Bowles hineinbricht. Und vielleicht sollte man als Zuschauer darauf auch so reagieren wie Bowles, wenn ihm die Schlange über die Hand kriecht: mit jenem unbewegten Blick, der die Welt als das nimmt, was sie ist. Mehr nicht.

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