10. September 1997 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Funny Games

In der Strafkolonie

Michael Haneke terrorisiert sein Publikum mit FUNNY GAMES

Eines der ungeschriebenen Gesetze des Kinos lautet: Kinder und Hunde sind tabu. Eines der sichersten Mittel, die Leute gegen einen Film aufzubringen, ist der Verstoß gegen diese Regel.

Den Hund trifft es zuerst, das Kind folgt später. Sehen kann man beides nicht. Beim erstenmal hört man ein kurzes Aufjaulen, beim zweiten Mal einen Schuß. Die Kamera ist stets anderswo und läßt dem Schrecken reichlich Platz, sich auszubreiten. Erst später sieht man: den leblosen Hundekörper, das Blut des Jungen. Für die meisten ist das mehr als genug: Sie verlassen das Kino.

Der in München geborene Österreicher Michael Haneke ist sicher einer der aufregenderen deutschsprachigen Filmemacher und vor allem einer der wenigen, die im Ausland zumindest von der Kritik ernst genommen werden. Mit seinen Kinofilmen DER SIEBENTE KONTINENT, BENNY’S VIDEOP, 71 FRAGMENTE EINER CHRONOLOGIE DES ZUFALLS, aber auch seinen Fernseharbeiten WER WAR EDGAR ALLAN?, NACHRUF FÜR EINEN MÖRDER, DIE REBELLION oder DAS SCHLOSS ist er ziemlich konsequent seinen Weg gegangen. Ob er mit FUNNY GAMES nun auf dem Gipfel angekommen oder in einer Sackgasse gelandet ist, war die Frage, die sich nach der Premiere in Cannes stellte.

Der Titel FUNNY GAMESist natürlich bittere Ironie. Das Spiel besteht darin, daß zwei junge Männer eine dreiköpfige Familie in ihrem Wochenendhaus gefangen nehmen und eine makabere Wette anbieten: Bis der Morgen graut, hätten die Opfer sich entweder befreit, oder sie seien tot. Natürlich ist das Spiel weder fair noch lustig – Hanekes Titel ist also eher eine billige Pointe, die um Verständnis buhlt. Soll damit insinuiert werden, daß die Täter so handeln, weil sie zwischen Spiel und Ernst nicht mehr unterscheiden können?

An den Nahtstellen von Fiktion und Realität spielen alle von Hanekes Filmen, zielen dabei mit einer Hingabe immer wieder auf jenen Punkt, wo aus Spiel Ernst wird, wie Kinder, die ihrem Stofftier den Bauch aufschneiden, um zu sehen, was sich darin verbirgt. Das Schockierende ist diese Ungerührtheit, mit der Haneke in der Wunde bohrt.

Seine Filme sind Versuchsanordnungen, in denen Reaktionen getestet werden. Um Motive kann es da gar nicht gehen, und Psychologie und Soziologie haben in dieser Welt so wenig Platz wie im Labor des Wissenschaftlers. Es ist immer wieder dasselbe Schema von Aktion und Reaktion, das Haneke so lange zerdehnt, bis es wie in Zeitlupe abläuft. Und mit dem Ergebnis läßt er den Zuschauer allein. Im Grunde ist es also Haneke der mit seinen Zuschauern funny games spielt. Er bestimmt die Regeln, und wir können nur reagieren.

In gewisser Weise ist Haneke ein Verwandter der Wiener Aktionisten. Die haben Katzen (und sich selbst) gequält und Schweine geschlachtet, als könnten sie wie die Auguren aus den Innereien, wenn schon nicht die Zukunft, so doch den Zustand unserer Gesellschaft herauslesen. Was dabei herauskam, ist die billige, aber immer wieder wirkungsvolle Erkenntnis, wie verdammt dünn die Haut ist, mit der die bürgerliche Kultur die Wirklichkeit überzogen hat. Ein Stich genügt, und schon platzt unser Selbstverständnis wie eine mit Blut gefüllte Schweinsblase.

Stanley Kubrick hat diesen Mechanismus in Uhrwerk Orange vorgeführt, und der Skandal ist seither nicht kleiner geworden. Bei Haneke schlachten zwei Jungs eine Familie ab, und es bleibt nicht einmal der zweifelhafte Trost, mit dem im Mainstreamkino sonst jeder Wirkung eine Ursache zugewiesen wird. Daß es kein erkennbares Motiv gibt, verschärft den Terror nicht wesentlich, aber verstößt doch gegen gewisse Sehgewohnheiten. Man fühlt sich als Zuschauer wie in Kafkas Strafkolonie.

Soweit funktioniert FUNNY GAMES genauso perfekt wie BENNY’S VIDEO, aber Haneke handelt in pädagogischem Auftrag. Er will vorführen, wie leichtfertig üblicherweise Gewalt im Kino konsumiert, wie fahrlässig mit ihrer Darstellung umgegangen wird: „Ich versuche Wege zu finden, um Gewalt als das darzustellen, was sie immer ist, als nicht konsumierbar. Ich gebe der Gewalt zurück, was sie ist: Schmerz, eine Verletzung anderer. ” Das ist gut gemeint und wie alles Gutgemeinte an der Sache vorbei.

Haneke bedient sich mit großem Geschick der Konventionen des Thrillers, um sie dann vermeintlich gegen das Genre selbst zu kehren. Aber die Bilder wissen mehr als ihr Regisseur. Sie entwickeln jene eigene Dynamik, die allen Filmen um Gewalt zu eigen ist. Es gibt – so widersinnig das sein mag – stets den unbewußten Impuls, mit dem Teufel zu sympathisieren und in der Qual unschuldiger Opfer eine irgendwie gerechte Strafe zu sehen. Nichts kann den Opfern ihre Unschuld zurückgeben – das liegt in der Natur der Dinge.

Haneke hat die Gefahr erkannt und versucht, ihr durch formale Spielereien zu entgehen. Mehrfach wenden sich die Täter dem Publikum zu – und einmal wird sogar eine Aktion rückgängig gemacht, indem der Film einfach zurückspult, um der Geschichte noch ihr grausames Ende bereiten zu können: Die Frau erschießt einen der Täter – Stop, zurück – erschießt ihn nicht und wird selbst umgebracht. An die Wirkung solcher Verfremdungen zu glauben, ist mit Verlaub so naiv wie Brechts Vorstellung, es genüge, die Zuschauer auf ihr romantisches Glotzen hinzuweisen, um es ihnen auszutreiben.

Haneke verweigert wohl Erklärungen, aber sein ganzer Film insinuiert, es seien doch irgendwie die modernen Medien – Fernsehnachrichten, Horrorvideos, Kriegsspiele –, die solche Monster gebären. Das ist ein mutwillig herbeigeführter Kurzschluß.

FUNNY GAMES, 1997. Regie und Buch: Michael Haneke. Kamera: Jürgen Jürges. Schnitt: Andreas Prochaska. Darsteller: Susanne Lothar, Ulrich Mühe, Arno Frisch, Frank Giering, Stefan Calpczynski, Doris Kunstmann. Verleih: Concorde-CR/T. Länge: 103 Minuten.

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