14. Juli 1995 | Die Zeit | Filmkritiken, Rezension | Ed Wood

ED WOOD von Tim Burton

Ein König in Hollywood

Das Kino ist ein Eisberg. Nur die Spitze bekommt man zu Gesicht. Von dem, was unter der Oberfläche liegt, hat kaum jemand eine Vorstellung. Selten, ganz selten löst sich einer aus dem Eis des Vergessens und treibt an die Oberfläche. ED WOOD zum Beispiel.

Als Edward D. Wood jr. 1978 im Alter von 54 Jahren starb, nahmen nicht einmal die Branchenblätter Notiz davon. Von seinem zweifelhaften Ruhm als schlechtester Filmregisseur aller Zeiten, der seinen Filmen eine Fangemeinde einbrachte, hatte er nicht mehr viel mitbekommen. Er war Alkoholiker und konnte nicht einmal mehr die Pornos drehen, mit denen er sich seit Jahren über Wasser gehalten hatte. Drei Tage vor seinem Tod wurde er auch noch vor die Tür seiner Wohnung in der Yucca Street gesetzt und zog in das Haus eines Freundes. Wenn es brennt, hatte er früher mal gesagt, dann solle man sein Lugosi-Buch und seine Schreibmaschine retten. Aber nicht einmal dieser Wunsch erfüllte sich. Als er auf der Straße stand, hatte er nur noch ein Drehbuch und seinen liebsten Angorapullover bei sich. Es heißt, der Transvestit Ed Wood wollte in einem Brautkleid beigesetzt werden. Statt dessen wurde seine Asche auf hoher See verstreut.

„Er starrte in einen sternenlosen Raum“ heißt die traurige Überschrift zum letzten Kapitel der Biographie von Rudolph Grey, die jetzt bei Heyne (TB 9282, 14,90 Mark) auf deutsch erschienen ist. Diese Sammlung von Zeugenaussagen seiner Freunde und Mitarbeiter ist das schönste Buch, das bisher über jenen sternenlosen Bereich des Kinos erschienen ist, der jenseits des Leinwandglanzes liegt. Ed Woods Leben ist vielleicht nur eines von zahllosen Schicksalen im Schatten der Traumfabrik, aber in ihm steckt mehr Wahrheit als in all den Biographien des Erfolges, mit denen sich das Kino sonst gern schmückt. Was diese Geschichte so besonders ergreifend macht, ist die Tatsache, daß alle Befragten bestätigen, daß Ed Wood nie aufgegeben hat, daß sein Optimismus wider besseres Wissen schier grenzenlos war.

Dieser Optimismus ist es auch, der Tim Burton an diesem Schicksal fasziniert hat. Johnny Depp spielt Ed Wood mit einer stets strahlenden Miene, die durch keine Enttäuschung zu verdüstern ist. In einem Gewerbe, das noch jeden das Fürchten gelehrt hat, zieht er aus und läßt sich durch nichts und niemanden schrecken. Sein rührend kindlicher Wahlspruch lautet: „Mein nächster Film wird sicher besser.“ Als ED WOOD dieses Jahr im Wettbewerb von Cannes gezeigt wurde, bildeten die T-Shirts mit diesem Werbespruch einen passenden Kommentar zur Lage der Filmbranche, in der nur wenig darauf hindeutet, daß beim nächsten Film alles anders wird.

Wenn jemand, der wie Tim Burton in der Hackordnung Hollywoods ganz oben steht, einen Film über einen Mann macht, der selbst von der untersten Sprosse der Karriereleiter noch herabgefallen ist, dann kann das leicht ins Auge gehen. Schließlich werden in Hollywood über die Opfer des eigenen Systems gerne Krokodilstränen vergossen. Burton vermeidet jedoch alle Weinerlichkeit, um die Geschichte einer Seelenverwandtschaft zu erzählen. Er habe, sagt der Regisseur in dem bei Faber erschienenen Interview-Band „Burton on Burton“, mit seinen Filmen zwar mehr Glück gehabt, aber wenn man gehört habe, wie seine Projekte vor der Verwirklichung beurteilt worden seien, dann wisse man, daß es ein verdammt schmaler Grat sei, der eine Karriere wie seine eigene von einem Schicksal wie dem von Ed Wood trenne.

Tim Burton ist selbst ein Kind Hollywoods. Aufgewachsen ist er in Burbank, ganz in der Nähe der Disney-Studios. Der kleine Tim, das spindeldürre Männlein mit dem wirren schwarzen Haar, träumte so lange von der heilen Welt dort, bis er endlich in ihr arbeiten durfte. Als er aus seinem Traum erwachte, fand er sich in einer seelenlosen Zeichenfabrik wieder. Er entfloh dem Moloch, in dem für seine Art zu träumen kein Platz war, und ging seinen eigenen Weg. So darf es als subtile Form der Rache gelten, daß er Jahre später NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS und nun ED WOOD ausgerechnet für Disney gemacht hat.

Von dem Jungen, der sehnsüchtig auf die heile Welt von Disney blickt, ist es kein weiter Weg zu dem Regisseur, der wie Frankenstein immer wieder künstliche Menschen schafft. Die Gliederpuppe PeeWee Herman, den Irrwisch Beetlejuice, den Vogelmenschen Batman, den Joker, den Pinguin, Catwoman, Edward mit den Scherenhänden, all die Gespenster von Halloween und nun Ed Wood, der auch eher seiner Phantasie als der Realität entsprungen zu sein scheint. Immer wieder spiegelt sich Burton in Außenseitern, die verzweifelt versuchen, normal zu sein oder zumindest das, was man dafür hält. Aber es will ihnen einfach nicht gelingen, den Vorbildern zu entsprechen. Das schönste daran ist, daß es am Ende keine Rolle mehr spielt. Ihr unbezähmbarer Wille, an der Welt der anderen teilzuhaben, führt dazu, daß sich am Ende die Welt selbst verwandelt.

Am Schluß trifft Ed Wood sein großes Idol Orson Welles in einer düsteren Bar – und einen Moment lang fühlt er sich mit ihm vereint in dem Gefühl, von der Welt mißverstanden zu werden. So kehrt er mit neuer Entschlossenheit zu den Dreharbeiten von PLAN 9 AUS DEM WELTALL zurück und beendet den Film gegen die Widerstände seiner christlichen Finanziers. Bei der Premiere hat er dann seinen großen Auftritt, marschiert durch den vollbesetzten Saal auf die Bühne, um seinen Zuschauern viel Spaß zu wünschen. Daß die Leute ihn anschließend auslachen, schmälert nicht seinen Triumph. Er ist vielleicht der Narr von Hollywood, aber einen Augenblick lang war er ein König. Und er sieht Sterne in einem sternenlosen Raum. Da macht es auch nichts, daß es in Strömen regnet, als er aus dem Kino tritt. Er packt seine Frau und sagt, es werde schon wieder aufhören, wenn sie erst mal aus der Stadt heraus seien: „Ach, was sage ich, vermutlich hört es schon an der nächsten Ecke auf.“ So schön ist es im Kino bei Regen seit SINGIN‘ IN THE RAIN nicht mehr gewesen.

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