13. Oktober 1990 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Dreckige Hunde & Everybody Wins

Keine Heimat für Helden

Zwei Filme von Karel Reisz mit Nick Nolte

Alle gewinnen, einer verliert. Einmal verreckt Nick Nolte am Ende in der Wüste Neu-Mexikos, das andere Mal wird er in einem Städtchen Neu-Englands von allen verlassen, auf die er gesetzt hatte. Alles bleibt, wie es ist – nur er ist der Dumme. Dabei war Nolte in beiden Fällen der einzig Handlungsfähige in einer Welt, in der alles zum Stillstand gekommen zu sein scheint. Das Amerika, das Karel Reisz in seinen Filmen entwirft, ist kein Land mehr für Helden. Mit bloßen Taten und Handeln allein gibt es dort nichts mehr zu gewinnen.

Ein Film von 1977 und einer von 1990. Erfolgreich waren sie beide nicht. Zu wenig Vertrauen setzen sie in die Action. die sie zeigen, zu wenig effektiv wirkt das Handeln des Helden. Was immer Nick Nolte tut. es zeigt wenig Wirkung. Immer gibt es jemanden. der am längeren Hebel sitzt. Gerade deshalb gehören DRECKIGE HUNDE und EVERYBODY WINS zu den interessantesten amerikanischen Produktionen ihrer Zeit. Es gibt in ihnen Menschen zu entdecken, die das amerikanische Kino sonst nicht kennt: und Orte, die es sonst nicht sieht. Und in den dreizehn Jahren, die zwischen den Filmen liegen, hat sich beunruhigend wenig geändert. Was sie zeigen, ist ein Land, das von allen guten Geistern verlassen ist.

Ein Unterschätzter

SAMSTAGNACHT BIS SONNTAGMORGEN (1960), DER GRIFF AUS DEM DUNKEL (1963), PROTEST (1966), ISADORA (1968), SPIELER OHNE SKRUPEL (1974), DRECKIGE HUNDE (1977), DiIE GELIEBTE DES FRANZÖSISCHEN LEUTNANTS (1981), SWEET DREAMS (1985), EVERYBODY WINS (1990): Der 1926 im tschechischen Ostrau geborene, 1949 nach England emigrierte Karel Reisz gehört sicher zu den meist unterschätzten Regisseuren des Kinos. Zu sehr scheint sein Name mit dem englischen Free Cinema der Sechziger verbunden, und zu literarisch ist seltsamerweise der Ruf seiner Filme. Dabei steckt sein Werk voller Stars und Sensationen: Albert Finney, Vanessa Redgrave, Nick Nolte, Meryl Streep, Jessica Lange oder Debra Winger sind nur die prominenteren Namen seiner Besetzungen. Dazu kommt ein falbelhafter Sinn für Schauplätze, für ihre Farben und ihre Topographie.

DRECKIGE HUNDE spielt in einer verlassenen Hippiekolonie in den Bergen Neu-Mexikos, genannt El ojo grande, deren Lautsprecheranlage das ganze Tal beschallt. Und die Welt von EVERYBODY WINS beschreibt Reisz so: „Eine kleine neuenglische Stadt mit ziemlich pompösen öffentlichen Gebäuden und verfallenden Fabriken und Mühlen, die der Stadt einmal sehr viel Wohlstand beschert haben. Diese Art des Puritanismus, der schal geworden ist, zeichnet Neuengland aus, und man findet sie in der Landschaft und den Gebäuden wieder.“ Beide Filme spielen in Geisterstätten, in den Ruinen einer vergangenen Zeit; die sich noch im Einklang mit ihren Ideen befand. Übrig geblieben sind nur die leeren Hüllen, in denen die Helden vergeblich nach dem Geist der Vergangenheit suchen. Sie sind die letzten Träumer in einer Welt ohne Illusionen.

Der Traum bleibt

Alles, was passiert, wirkt seltsam unkonzentriert, verlangsamt, unlogisch, verwirrend. Dazwischen müht sich Nick Nolte ab. dieser Koloss von einem Mann, dessen Energie wie fehl am Platze wirkt. Eigentlich hat er in beiden Fällen keine Lust mehr, sich noch mal mit dem System anzulegen. Er ist aus Niederlagen klug geworden – aber nicht mutlos. Seine Träume vielleicht doch noch zu verwirklichen, nachdem er sich von ihnen bereits verabschiedet hatte, diese Hoffnung treibt ihn an.

Das eine Mal versucht er für einen Freund, dem er noch einen Gefallen schuldet, zwei Kilo Heroin an den Mann zu bringen. Das andere Mal übernimmt er, weil er mit dem Staatsanwalt noch eine Rechnung offen hat, einen aussichtslosen Fall. Aber beide Male werden die Frauen, die er dabei trifft, zu den wahren Trägern seiner Hoffnungen. In DRECKIGE HUNDE ist das Tuesday Weld, in EVERYBODY WINS Debra Winger, zwei Schauspielerinnen, die wie nur wenig andere Natürlichkeit und Intelligenz verkörpern.

Die Figuren, die sie spielen, taugen am besten, um den Zustand der Welt in diesen Filmen zu beschreiben. Sie sind verwirrt und unberechenbar, mal sirenenhaft verführerisch, dann wieder wahnhaft verschlossen. Tuesday Weld hat sich in Drogen geflüchtet, Debra Winger in einen religiösen Kult, und Nick Nolte, der ihre Seelen zu retten versucht, kämpft auf verlorenem Posten.

So abwesend sind die beiden Frauen in diesen Geschichten manchmal, daß sie ih¬ren Retter nicht einmal mehr erkennen. Wie einen Fremden behandeln sie dann den einzigen Mann, der noch etwas bewegen könnte. Das ist der Platz des Helden: Ein Fremder in einem fremden Land. Es gSbe etwas zu tun, aber man läßt ihn nicht mehr.

WHO’LL STOP THE RAIN hieß DRECKIGE HUNDE in England, und der gleichnamige Song erzählt darin alles, was es zu sagen gibt: „Long as I remember, the rain’s been Coming down. Oouds of mist drift pouring confusion to the ground…And I wonder, still I wonder: Who’ll stop the rain?“.

(DRECKIGE HUNDE gibt es bei Warner Home Video für 35 Mark, EVERYBODY WINS einstweilen nur im Verleih.)

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mailadresse wird nicht öffentlich angezeigt. Pflichtfelder sind mit * markiert. Mit Absenden Ihres Kommentars werden Ihre Einträge in unserer Datenbank gespeichert. Weitere Informationen finden Sie in unserer » Datenschutzerklärung


zwanzig − eins =