01. Juli 1998 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Aprile

Aus dem Leben der Plaudertaschen

Vater werden ist nicht schwer? Nanni Moretti setzt mit APRILE sein Tagebuch fort

Nanni Moretti filmt sozusagen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Trotzdem sind seine filmischen Tagebücher keine Dokumentarfilme, sondern eine Art Versuch, der Fiktion mit dokumentarischen Mitteln beizukommen – oder andersrum: die Realität als Fiktion zu verkaufen. Wenn Moretti nun also in APRILE Vater wird, dann entspricht das zwar durchaus der Wahrheit, wirkt aber gleichzeitig wie eine Erfindung seines Alter Ego Nanni. Wahrscheinlich muß man sich die Beziehung zwischen den beiden Hälften des Italieners so vorstellen wie das Verhältnis zwischen der Figur Woody und dem Regisseur Allen. Beide betreiben das Filmemachen auf ihre Weise als Therapie – wobei Moretti Patient und Analytiker zugleich ist.

In APRILE kann man also der allmählichen Verfertigung des Films beim Drehen zusehen. Nanni träumt von einem Musical um einen Bäckermeister, ganz im Hollywood- oder besser Zuckerbäcker-Stil. Aber das Projekt will nicht recht in Gang kommen, und als dann doch die erste Klappe fallen soll und alle warten, da steht der Regisseur wie gelähmt da und entscheidet, die Sache doch fallen zu lassen. Weil er aber nicht den Mut hat, es seinen Leuten selbst zu sagen, muß ein Assistent dem Team und seinem Star Silvio Orlando die schlechte Nachricht überbringen.

So scheitert der Anlauf zur großen Fiktion, die Dinge mit den herkömmlichen Mitteln des Kinos zum Singen und Tanzen zu bringen. Tatsächlich gab es nach LIEBES TAGEBUCH ein Projekt, das Moretti fallen ließ, weil er nicht vorankam – hier hat er nun sein Scheitern produktiv genutzt. Das ist die eine Seite des Films: der Filmemacher auf der verzweifelten Suche nach Stoff, Geld und Ideen.

Die andere Seite, wo das Tagebuch sich in einen Dokumentarfilm verwandelt und sich das Private mit dem Öffentlichen verbindet, besteht aus Morettis diversen Versuchen, die endlosen politischen Wirren Italiens zu dokumentieren. Es beginnt am 28. März 1994 mit dem Wahlsieg Berlusconis, den Moretti bei seiner Mutter im Fernsehen verfolgt. Seine Reaktion besteht darin, sich den – wie er sagt – ersten Joint seines Lebens anzuzünden. Aber seinen Geist läßt er sich davon nicht vernebeln.

APRILE ist vielleicht nicht immer der Film, der er gerne sein möchte, aber ganz sicher zeichnet er ein so gewitztes wie genaues Bild Italiens der letzten Jahre. Berlusconis Sieg und die Forza Italia; die Liga Nord, die auf dem Po ihrem padanischen Hirngespinst entgegenfährt; der Sieg der Linken im Frühling 1996, die Ankunft der albanischen boat people – Moretti hält alles fest, filmt hier eine Demonstration, führt dort ein Interview, und nie kommt es ihm dabei auf dokumentarisches Gelingen an, eher geht es auch hier darum, im Scheitern ein Stück der Wirklichkeit zu erhaschen.

In seiner Art, Ordnung ins Chaos zu bringen, ähnelt er den Kartographen bei Jorge Luis Borges: Anfangs kauft er sich sämtliche Zeitungen, um Artikel auszuschneiden, stellt dann aber fest, daß alles im Grunde eine einzige große Zeitung ist. Da sitzt er dann inmitten einer einzigen großen Bleiwüste, Opfer seines Wahns, der Sache mit Systematik beikommen zu können.

Nanni Moretti ist ein echter Tausendsassa, Regisseur, Schauspieler, Produzent, Kinobesitzer, alles auf einmal und alles mit der gleichen Hingabe. Da versteht es sich von selbst, daß er auch durch die Vaterschaft in Mitleidenschaft gezogen wird wie kein zweiter. Der Egozentriker ahnt, daß diese Geburt seine Position in der Mitte des Universums gefährden könnte – und reagiert mal panisch, mal paranoid. So fragt er sich zum Beispiel, wie es seine Mutter eigentlich geschafft hat, ihn zu stillen, während sie doch als Lehrerin tätig war.

Nanni redet und redet und redet und kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Einer für alle, und alle für einen. So hält Nanni sich und seinem Land einen Spiegel vor. Aber alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind natürlich rein zufällig.

(Carl-Orff-Saal, heute 20 Uhr, Samstag 17 Uhr.)

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