05. September 1992 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Alien 3

Kosmische Jungfrau

Zum dritten Mal ALIEN mit Sigourney Weaver

Die Augen sind blutunterlaufen, die Haare kurzgeschoren, die Züge schmerzverzerrt. Sigourney Weaver sieht nicht nur aus wie eine Schwester von Maria Falconetti, deren einzige Rolle die Jeanne d’Arc bei Dreyer war, sie besitzt auch dieselbe Härte, Stärke und Opferbereitschaft, die die Jungfrau von Orleans in den Flammentod trieben. Und von allen Kämpfen, die Sigourney Weaver als Lieutenant Ripley mit dem Alien bislang auszufechten hatte, ist dies der härteste und schmerzlichste. Denn es ist ein Kampf mit sich selbst, eine Auseinandersetzung mit der eigenen Existenz und Identität, bei der es um Leben und Tod geht.

1979 tauchte das Alien zum ersten Mal auf, in einem Film, der unter der Regie von Ridley Scott fürs Kino der nächsten Deakde ähnlich bedeutend wurde wie der im selben Jahr entstandene American Gigolo, in dem der Schein das Sein bestimmte. In den Formen des Schweizer Designkünstlers H. R. Giger vermählten sich das Organische und das Technische, die Software mit der Hardware. Während einerseits das Raumschiff wie gewachsen aussah, wirkte das Alien andererseits wie konstruiert. Der weiche Organismus schien durchzogen von einem fast stählernen Knochenbau, in dem das Kreatürliche ein maschinelles Antlitz bekam. Im Alien erhob eine neue Generation von Ungeheuern zum ersten Mal ihr häßliches Haupt.

Die zweite Folge drehte James Cameron 1986. Der Plural im Titel ALIENS deutete schon an, worum es ging. Die explosive Vermehrung des Organismus‘ war auch ästhetisches Programm. Zeit und Raum, im ersten Teil noch Einheit, dehnten sich im selben Maße aus wie das Alien selbst, um schließlich in einem Kampf der Mütter zu gipfeln. Ripley verteidigte ein galaktisches Findelkind gegen eine Alienkönigin, die den Planeten zum Brutkasten umfunktioniert hatte. Das Ganze war ein Spektakel zwischen Fortpflanzung und Vernichtung, ein Kriegsfilm im planetaren Kreißsaal.

Man sieht daran, daß die Reihe von Anfang an eine Mischung aus Physis, Physik und Metaphysik war. Und der dritte Teil geht noch weiter. Alien3 versteht sich nicht als Fortsetzung der Geschichte, sondern als ihre Potenz. Hoch drei, das will womöglich jenen Quantensprung von den physikalischen Phantasien der Science Fiction auf die Ebene der Metaphysik bezeichnen. Tatsächlich setzt der junge Regisseur David Fincher, der bislang nur Musikvideos für Madonna, Goerge Michael und Paula Abdul gedreht hatte, weniger auf Aktion als auf Reflexion. Und es ist schon erstaunlich wie konzentriert dieser Film wirkt, nachdem seine Produktionsgeschichte zu den abenteuerlichsten im Hollywood der letzten Jahre zählt. Das Drehbuch wurde immer wieder von Grund auf verändert, und die Dreharbeiten sogar gestoppt, als die Kosten völlig aus dem Ruder liefen. Das fertige Produkt müßte Vertreter der Autorentheorie verzweifeln lassen.

Unter den Vorspanntiteln sieht man die Besatzung eines Raumgleiters im künstlichen Schlaf, mit dem sich traumlos Zeit und Raum überbrücken lassen. An den Bewegungen der Kamera kann man erahnen, daß die Schläfer nicht allein sind. Unvorhergesehene Eingriffe bringen das System und die Raumkapsel zum Absturz. Die Suchmannschaften auf dem Gefängnisplaneten Fury 161 (ein Ort des Zorns, der in der deutschen Fassung unsinnigerweise Fiorina 161 getauft worden ist) finden nur einen Überlebenden: Lieutenant Ellen Ripley.

Die Insassen auf Fury, zu lebenslanger Zwangsarbeit im Rohstoffabbau verurteilte Schwerstverbrecher, gleichen einer mönchischen Gemeinschaft, die ein apokalyptisches Christentum pflegt. Die notgelandete Frau empfinden sie als Bedrohung ihrer spirituellen Einheit, und dabei ähneln sie Elefanten, die vor einer Maus zurückschrecken. In ihrer beinahe androgynen Schönheit ist Sigourney Weaver der logische Held in dieser Männerwelt. Und während die Männer angesichts des Aliens betend den Untergang zu erwarten scheinen, stellt sich Ripley dem Monster. Und in diesem Kosmos genügt es nicht, seinen Mann zu stehen, weil allein die Frau die Fähigkeit besitzt, sich fortzupflanzen. Was in dieser Geschichte von entscheidender Bedeutung ist – nicht nur, weil das Alien in seiner hermaphroditischen Mischung aus vaginalen und phallischen Formen ein Zwitter ist, der sich auch ohne Befruchtung fortpflanzen kann.

David Finchers Konzept funktioniert deshalb so überzeugend, weil er sich darauf beschränkt, das Alien zumeist nur als Schatten und Schemen zu zeigen. Und wenn man Ripleys Satz dazunimmt, wonach das Alien nun schon so lange ihr Leben beherrscht habe, daß sie sich an nichts anderes mehr erinnern könne, dann läßt sich ALIEN 3 durchaus deuten als alptraumhafte Phantasie, als geradezu religiöse Wahnvorstellung, als Ausgeburt der Passion dieser Jeanne d’Arc.

Andere Lesarten bietet der Film genauso an. Die Geschichte ist mindestens so sehr Ausdruck weiblicher Urängste wie männlicher Paranoia. Das Eindringen eines tödlichen Organismus in eine Männergemeinschaft ist natürlich eine düstere Metapher für AIDS. Da das Alien zudem in Begleitung der Frau auftaucht, stellt die Konstellation auch einen fast ironischen Kommentar zum traditionellen Machismo dieses Genres dar.

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