Hallo, wie geht's?
Liebe und andere Kleinigkeiten auf den 28. Hofer Filmtagen
Ein Blick, ein Lächeln, eine Melodie, das ist es, was man von Festivals nach Hause bringt. Wie beim Schneegestöber in der Kristallkugel wirbeln die Bilder durcheinander, um sich dann langsam auf dem Boden der Erinnerung abzusetzen. Wenn man also die diesjährigen Hofer Filmtage kräftig durchschüttelt, dann gibt es einiges zu sehen, was einem über den Winter bringt.
Das tiefe Lachen von Marianne Faithful, die in Moondance von Dagmar Hirtz eine Mutter spielt, die zu ihren Söhnen nach Irland heimkehrt. Und nur der eintätowierte Stern auf ihrer Hand zeugt von bewegteren Zeiten.
Eine Szene in Heiko Schiers Freundinnen, in der Meret Becker und Nina Kronjäger in einem Laden Schuhe anprobieren und die Kamera nur dem Spiel ihrer Füße folgt, während sich die beiden unterhalten.
Der Moment, wenn Katja Flint in Du bringst mich noch um von Wolfram Paulus zu spät zur Verabredung im Liebesnest erscheint, wo unglücklicherweise gerade die Ehefrau ihres Liebhabers August Zirner zu Besuch ist.
Der Schnitt in André Téchinés Les roseaux sauvages, wenn das Geknatter des Mopeds auf einmal durch Musik ersetzt wird, weil der Beifahrer seinen Kopf an den Rücken des Jungen legt, in den er heimlich verliebt ist.
Bob Dylans Song Knockin‘ on Heaven’s Door, der in L’eau froide von Olivier Assayas in voller Länge gespielt wird, während die Kamera dem Kreisen der Haschpfeife auf einer Party folgt.
Oder der Tanz einer Stripperin in Schulmädchen-Uniform in Atom Egoyans Exotica. Oder Erwin Thanheisers Tick in Traumstreuner, das Ende seiner Sätze immer nochmal zu wiederholen. Oder das Architekturmodell in Nico Brüchers Maries Lied. Oder, oder, oder.
Die Wirklichkeit hat’s schwer
Es sind immer solche Augenblicke, die das Jahr überdauern werden und an die man sich auch dann noch erinnern wird, wenn der Gesamteindruck längst verschwommen ist. Sie sind im Grunde auch die einzig gültigen Antworten des Kinos auf die Frage des Festivalbesuchers, wie es eigentlich um die Welt und den Film in diesem Jahr bestellt ist. In diesen zeitlosen Momenten, die die Gegenwart überdauern, finden die Filme zu sich, und nicht im Zwang, ein repräsentatives Bild der Wirklichkeit abzugeben. Durch die Retrospektiven des Amerikaners Tim Burton und des Neuseeländers Peter Jackson richtete sich der Blick in diesem Jahr ohnehin mehr auf zügellose Phantasien. Die Wirklichkeit hatte es schwer, dagegen anzukommen.
Trotzdem kommt so ein Festival nicht darum herum zu fragen: ‚Hallo Deutschland, wie geht’s?‘ Was macht die Jugend? Wie ist es um die Alten bestellt? Hat die Liebe eine Chance? Gibt es überhaupt etwas zu erzählen? Und dabei muß man versuchen, sich nicht vom Ergebnis des traditionellen Fußballspiels beeinflußen zu lassen, daß die Mannschaft der Filmtage diesmal gegen die Hofer Auswahl haushoch mit 1:4 verloren hat.
Nach dem finanziellen Debakel von Die Sieger und dem Erfolg von Der bewegte Mann kann man getrost sagen, daß es dem deutschen Film wie immer geht: Er bewegt sich zwischen Reinfall und Hoffnung, mit Tendenz zu letzterem. Und die Hofer Filmtage taten das ihre, um diesen Befund zu bestätigen. Es gibt einerseits eine unleugbare Lust, den Alltag für pfiffige Geschichten zu nutzen, und andererseits einen unveränderten Hang zur Rückbesinnung auf die Vergangenheit.
Die Vergangenheit, das ist mal das Preußen des Jahres 1813, das Nico Brücher in Maries Lied zu Tableaus von unnahbarer Erlesenheit erstarren läßt. Und das ist auch das Mühlenviertel des Jahres 1945, wo in Hasenjagd die braven Bürger russische Kriegsgefangene, die aus dem KZ Mauthausen ausgebrochen sind, zu Tode hetzen. Regisseur Andreas Gruber zeigt dabei, was er zeigen muß, aber jenseits des Konflikts zwischen Handeln und Verweigern wird nicht viel sichtbar.
In Traumstreuner von Erwin Michelberger taucht die Nazi-Zeit als Rückblende auf, als Folie für die Reise eines Jungen, der sich nach dem Tod der Mutter mit seinem alten Vater auf den Weg macht, um der Vergangenheit auf die Spur zu kommen. Die schönsten Momente findet der Film jedoch in der Gegenwart, wenn die beiden in eine Tropfsteinhöhle hinabsteigen oder in einer Wirtschaft zu tanzen anfangen.
Ähnlich wie Nico Brücher ist auch Dagmar Hirtz der Faszination ihrer Schauplätze erlegen. Die Cutterin, die vor zehn Jahren mit Unerreichbare Nähe Anlaß zur Hoffnung gab, erzählt in ihrem zweiten Film eine Geschichte aus Irland, in der zwei Brüder über eine Frau in Streit geraten. Aber die Kamera verharrt wie hypnotisiert vor den schönen Leuten und Landschaften, so daß nie die Bewegung in den Film kommt, von der er eigentlich erzählen will.
Hans-Christian Schmid hätte in Himmel und Hölle auch einigen Anlaß, sich in bildlichen Beschwörungen zu verlieren, aber er konzentriert sich bei seiner Story, bei der ein Mädchen in die Fänge einer kirchlichen Sekte gerät, ganz auf die Mechanik der Abhängigkeit. Der Perspektivenwechsel zwischen der kindlichen Naivität und der erwachsenen Welt gelingt ihm spielend, und er behält immer ein Auge für das, worauf es ihm ankommt. Und vor allem hat er Hannelore Hoger, die als Leiterin der Herzjesukinder wie immer unbezahlbar ist.
Seinem beinahe nüchternen Ansatz entgegengesetzt ist Hans-Christoph Blumenbergs Rotwang muß weg!, der alles tut, um in seiner gewitzten Attentats- Farce die Fiktion zu durchbrechen. Mit minimalen Mitteln verwandelt der ehemalige Filmkritiker eine hahnebüchene Geschichte in eine effektvolle Komödie. Der Film fällt ständig absichtlich aus der Rolle – und Blumenberg besteht seine Rolle als Regisseur besser denn je.
Die sogenannte Beziehungskomödie, das neue deutsche Lieblingsgenre, wird von Vivian Naefe in Man(n) sucht Frau eher ungelenk bedient, während Wolfram Paulus in Du bringst mich noch um die Geschichte eines Seitensprungs zu einem Vergnügen macht, indem er die beiden Liebenden in ihrem Ehe- und Kinder- Alltag in gnadenloser Parallelität aufeinander zutreibt. Ganz unaufgeregt erzählt Paulus genau das über den Beziehungsalltag, worum sich Naefe vergeblich bemüht – Geschichten des ganz normalen Wahnsinns.
Überall ist es besser, wo wir nicht sind hieß ein Film von Michael Klier, dessen Titel gut als Losung fürs deutsche Kino taugte. Klier selbst hat zwar nur einen ziemlichen spröden Dokumentarfilm über Ex-GIs in Deutschland gedreht, aber die anderen Regisseure scheinen offenbar vermehrt Lust aufs eigene Land zu haben: Es ist vielleicht nicht gut, wo wir sind; aber anderswo ist es auch nicht besser. Am besten gelingt das Heiko Schier in einer charmanten Komödie um zwei ganz und gar unterschiedliche Frauen, die den Ernst des Lebens auf die leichte Schulter nimmt. Und Meret Becker und Nina Kronjäger sind dabei zwei Freundinnen, mit denen man als Zuschauer leben mag.
Aus Frankreich und Kanada kamen die schönsten Filme, und wenn man so will, dann fanden die einen über das Leben zur Leidenschaft und die anderen über die Leidenschaft zum Leben. André Téchiné und Olivier Assayas haben für die arte- Reihe Tous les garçons et les filles de leur age Beiträge über die Jugend der Fünfziger und Siebziger gedreht, die wie zwei Geschenke des Fernsehens ans Kino wirken. In beiden ist eine ungeheuere Freiheit spürbar, die Lust des Erinnerns.
Abschied von der Jugend
Les roseaux sauvages und L’eau froide sind Geschichten der Enge und des Erwachens, in denen der Abschied von der Jugend als Freiheitstaumel sichtbar wird, ohne daß dazu die Vergangenheit verklärt werden müßte. Téchinés Film mündet in einen Badeausflug, in dem sich auf einmal alles klärt, und Assayas‘ Film zeigt die Jugendlichen bei einem Fest im Freien, wo der Kälte zum Trotz ein unbeschreibliches Gefühl der Wärme aufkommt. Beide Regisseure sind klug genug, ihre Geschichten von Freiheit in Zweifel und Schmerz enden zu lassen.
Die Kanadier Atom Egoyan und Denys Arcand erzählen von Orten jenseits der Jugend und versuchen im Trubel von Sex und Leidenschaft unter der Verzweiflung das zu finden, was man Liebe nennt. Egoyan in Exotica und Arcand in Love and Human Remains lassen ihren Phantasien freien Lauf, um am Ende alle Fäden geschickt wieder zusammenzuführen. In beiden Fällen bildet Gewalt die Klammer, die die Geschichten aus dem Alltag der Großstädte zusammenhält. Dadurch entsteht eine ständige unterschwellige Spannung, die den scheinbar harmlosen Geschichten von Liebe und Leidenschaft die Gewißheit unterlegt, daß der Preis für diese Lust höher ist, als es aussieht. Wo man nur einen Blick, ein Lächeln oder eine Melodie wahrnimmt, da geht es am Ende schon um Leben und Tod.
MICHAEL ALTHEN