08. Dezember 1994 | Süddeutsche Zeitung | Bericht | Box Office 1994

Jede Menge ungedeckter Schecks

Ein neues Rekordjahr nähert sich dem Ende - und doch hat Hollywood kaum Anlaß zur Freude

Das Jahr neigt sich dem Ende zu, und Hollywood steht vor einem neuen Rekordergebnis. Die Einnahmen sind im Vergleich zum letzten Jahr noch einmal um fünf Prozent gestiegen, aber zur Freude besteht dennoch wenig Anlaß. Denn auch die Kosten sind weiter gestiegen, und ein Ende ist allen Beteuerungen zum Trotz kaum in Sicht. Kevin Costners neues Projekt WATERWORLD wird auf 130 Millionen Dollars geschätzt, GODZILLA auf 120 Millionen. Schwarzeneggers CRUSADES soll 100 Millionen kosten, und CUTTHROAT ISLAND mit Geena Davis wird immerhin auch auf 75 Millionen veranschlagt. Dabei handelt es sich um lauter Filme, die jahrlang nicht gemacht worden waren, weil sie als zu teuer galten.

Um mehr Geld einzunehmen, wird auch immer mehr Geld ausgegeben. Daß das auf Dauer nicht gut gehen kann, liegt auf der Hand. Gerade hat Sony zum ersten Mal öffentlich zugegeben, daß ihr Kauf von Columbia ein gewaltiges Verlustgeschäft ist. 510 Millionen Miese allein im dritten Quartal, 2,7 Milliarden insgesamt. Vor fünf Jahren hat der ganze Laden 3,4 Milliarden gekostet. 500 Millionen davon waren Ablösesumme an Warner für das Produzenten-Team Jon Peters und Peter Guber – der eine ging nach ein paar Monaten, der andere vor kurzem, nachdem er vor allem Flops gelandet hat.

Auch Matsushita, die 1991 für sechs Milliarden Dollar MCA-Universal gekauft haben, werden mit ihrer Investition nicht recht glücklich. Sie liegen mit dem Vorstand Lew Wasserman und dem Präsidenten Sid Sheinberg im Streit um die Führung des Studios, und gerüchteweise wollen entweder die beiden oder die Mini-Moguln Spielberg, Geffen und Katzenberg eine Mehrheit an MCA-Universal erwerben. 250 Millionen Dollar hat das Trio aus Privatvermögen aufgebracht, um ein eigenes Studio zu starten. Auslöser für diesen aufsehenerregenden Coup war Katzenbergs überraschender Weggang bei Disney gewesen, nachdem er wider Erwarten nicht Nachfolger des tödlich verunglückten Präsidenten Frank Wells geworden war. Jetzt wird sich zeigen, wie groß sein Anteil an den letzten Kassenhits von Disney wirklich gewesen ist.

Während Hollywood also wieder mal dem nächsten großen Crash entgegengeht, wartet man auf den Endspurt im Rennen der Oscaranwärter. Neben FORREST GUMP, FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL und PULP FICTION sind in allen Kategorien noch einige Plätze zu vergeben. Redfords QUIZ SHOW und Branaghs FRANKENSTEIN dürften sich durch ihre schlechten Einspielergbnisse disqualifiziert haben, aber es kommen noch Michael Apteds NELL mit Jodie Foster und Liam Neeson, Roman Polanskis DER TOD UN DAS MÄDCHEN mit Sigourney Weaver und Ben Kingsley, Robert Bentons NOBODY’S FOOL mit Paul Newman, Robert Altmans PRÊT-À-PORTER und Neil Jordans INTERVIEW MI EINEM VAMPIR.

Vielleicht wird sich die Academy wieder mal für den Zeichentrickfilm DER KÖNIG DER LÖWEN als Anwärter entscheiden, weil sich sonst nicht viel anzubieten scheint. Nicht einmal PULP FICTION kann man zu den sicheren Kandidaten rechnen, weil die zumeist betagteren Stimmberechtigten damit im Zweifel nicht viel anfangen können. Andererseits haben sich in den letzten Jahren mit SCHWEIGEN DER LÄMMER und ERBARMUNGSLOS auch Filme durchgesetzt, die früher keine Chancen gehabt hätten.

Was die Schauspielerinnen angeht, dürfen sich neben Jodie Foster und Sigourney Weaver noch Susan Sarandon, Miranda Richardson und Isabelle Adjani oder Irène Jacob Chancen ausrechnen. Auch die unlängst verstorbene Jessica Tandy käme durch ihre letzten Rollen in CAMILLA und NOBODY’S FOOL noch in Frage.
Bei den Männern scheint kein Weg an Tom Hanks vorbeizuführen, und auch die Tatsache, daß er bereits letztes Jahr gewonnen hat, ist nicht unbedingt ein Handicap. Spencer Tracy wurde einst auch zweimal in Folge ausgezeichnet. Bleiben Hugh Grant und Paul Newman, vielleicht Liam Neeson (Nell) und Tommy Lee Jones (Cobb), Gary Oldman (als Beethoven in IMMORTAL BELOVED) und Morgan Freeman (THE SHAWSHANK REDEMPTION), und vielleicht John Travolta, der in PULP FICTION das Comeback des Jahres gelandet hat, was bei der Academy eigentlich immer ganz gut ankommt.

Hollywood arbeitet also wieder mal mit jeder Menge ungedeckter Schecks, bis alles auffliegt. Aber ehe es so weit kommt, wird man sich bei den Oscars wieder feiern, als gebe es keinen Grund zur Beunruhigung. Und vielleicht ist das ja auch richtig so. Denn im Grunde war Hollywood schon immer eine Seifenblase.

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