20. Mai 1999 | Süddeutsche Zeitung | Bericht, Cannes | Cannes 1999 (3)

52. Filmfestspiele in Cannes

Santa Klaus

Filme von Jim Jarmusch und Werner Herzog

Die Ehrenpreise sind bereits vergeben: an Burd Tranbaree für sein Gesamtwerk, an Rocco Siffredi für seine außergewöhnlichen Leistungen, sowie an Jenna Jameson und Laure Sinclair für ihre Karrieren, in denen sie bereits dreimal als Beste Schauspielerinnen ausgezeichnet wurden. Ehre, wem Ehre gebührt.

Wer die Namen nicht kennt, hat entweder wirklich keine Ahnung oder aber er lügt aus gutem Grund, weil es sich dabei um die Ehrenpreise der Porno-Industrie handelt, die sogenannten „Hot d’Or”, die hier in 25 Kategorien zum achten Mal vergeben wurden. Auch das ist Kino, auch das ist Cannes. Im Keller des Festival- Palais sind neben den anderen Firmen und Verleihern auch die Porno- Produzenten untergebracht, die hier eine Art Parallel-Universum zum eigentlichen Wettbewerb bilden, das Anti-Cannes, dessen Stars aus dem Nirgendwo kommen und nach einer kurzen Karriere auch dorthin wieder verschwinden.

So kann es also passieren, daß man auf der gewaltigen Party, die zum 50. Jubiläum der Unifrance im Palm Beach veranstaltet wird, zuerst die außerirdisch schöne Emmanuelle Béart am Tisch sitzen sieht, von einer unsichtbaren Glasglocke umgeben, durch die nur ausgewählte Bewunderer dringen dürfen – und dann im Gewühl auf der Tanzfläche eine knapp gewandete Schöne, die mit einem Photographen und einer zwei Meter langen Python unterwegs ist und sich plötzlich das Kleid hochschiebt um sich – Excuse my French! – die Schwanzspitze der Schlange in ihr rasiertes Geschlecht einzuführen. Die Dame war gewiß nicht Teil des Festprogramms, das im nächsten Moment 15 Girls aus dem Moulin Rouge zum züchtig-zünftigen French Can-Can auf die Bühne schickte – sie gehört zu der Armee von Verlorenen, die hier verzweifelt von jener Art von Aufmerksamkeit und Ruhm träumen, die in Cannes tagtäglich zelebriert wird. Aber außer ein paar entgeisterten Umstehenden nahm kaum jemand von der Schlangenfrau Notiz. Die wahren Stars waren auf derselben Party und doch Lichtjahre entfernt.

Von einem Exhibitionismus ganz anderer Art handelt Werner Herzogs „Mein liebster Feind”, in dem er seine Jahre mit Klaus Kinski Revue passieren läßt. Fünf Filme hat er mit dem Exzentriker bis zu dessen Tod 1991 gedreht, und seine Dokumentation ist keineswegs eine besinnungslose Feier des Genies, sondern eine mal zärtliche, mal zornige Rückschau auf die Zusammenarbeit mit einem gelinde gesagt schwierigen Partner. Herzog besucht frühere Drehorte in Brasilien und Peru und erzählt dabei in die Kamera – woran man schon sieht, wie sehr Herzogs Inspiration von der Topographie geprägt ist.
Dabei erscheint Kinski weniger als das ungebärdige Genie, als das er sich selber sah, sondern als ungezogenes, maßlos begabtes ewiges Kind, das um jeden Preis um Aufmerksamkeit buhlte. Am Greifbarsten wird das, wenn Herzog von Kinskis Beziehung zur Natur spricht, die von ihm zwar gern beschworen wurde, aber der Konfrontation mit der Wirklichkeit kaum je standhielt. So konnte es passieren, daß sich Kinski im Dschungel begeistert mit bloßen Oberkörper in erotischen Posen auf einem umgebrochenen Baumstamm photographieren ließ, aber sobald es feucht und unbequem wurde, von der Natur nichts mehr wissen wollte.

Natürlich spiegelt sich Herzog gerne in Kinskis Wahnsinn, aber seine Eitelkeit steht dem Film nie im Wege. Die Filmausschnitte aus „Aguirre”, „Nosferatu”, „Fitzcarraldo” und „Cobra Verde” sind geschickt eingesetzt und erzählen oft mehr über den Filmemacher als über seinen Star. Am Ende hat man den Eindruck, daß Kinski von dem Licht der Aufmerksamkeit, nach der er stets strebte, genauso zerstört wurde wie der Vampir in „Nosferatu”. Und für den Abschied hat Herzog ein wahnsinnig schönes, zärtliches Bild gefunden, wo man sieht, wie ein exotischer Schmetterling minutenlang auf Kinski herumklettert wie auf einer Blume – und Kinski freut sich wie ein Kind über diese buchstäblich natürliche Aufmerksamkeit, die ihm da zuteil wird.

Was hier der Schmetterling ist, sind in Jim Jarmuschs „Ghost Dog: The Way of the Samurai” die Brieftauben, mit denen sich Forest Whitaker umgibt. Er spielt einen Killer, der dem Ehrenkodex der Samurai folgt und von seinen eigenen Auftraggebern gejagt wird. Das ist natürlich die Geschichte von Jean-Pierre Melvilles „Eiskaltem Engel”, vermischt mit Elementen aus Luc Bessons „Léon”, dargeboten mit der Jarmusch eigenen Lakonie, die stets zwischen Ernst und Spiel pendelt. Der Regisseur versieht seine Geschichte immer wieder mit längeren Zwischentiteln aus einem Samurai-Buch, die im Grunde nicht weniger sinnig oder unsinnig sind als die Einschübe aus alten Zeichentrickfilmen, welche die Mafia-Gangster bei jeder Gelegenheit ansehen. Diese Mischung aus blutigem Ernst und augenzwinkerndem Witz, die in Jarmuschs ersten Filmen noch so gut funktionierte, hat sich hier totgelaufen. Die Geschichte des eiskalten Killers hält nur so lange ihre existenzielle Spannung, wie sie auf die ritualisierten Handlungen des Mannes konzentriert bleibt. Sobald jedoch ein kleines Mädchen und ein französischer Eisverkäufer den Mann aus seiner Einsamkeit erlösen sollen, bekommt der Film einen schalen Beigeschmack. Da hält auf einmal eine Art von naiver Poesie Einzug, die sich mit dem Kalkül der Geschichte schlecht verträgt. Jarmusch versucht zu erzwingen, was ihm abhanden gekommen ist: Er weiß einfach nicht mehr, was er erzählen soll. Das Wie allein genügt eben nicht.

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