08. Januar 1994 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Techniken der Verführung

Schlechte Laune

Enttäuschendes von Andrea de Carlo

ANDREA DE CARLO: Techniken der Verführung. Roman. Aus dem Italienischen von Renate Heimbucher. Diogenes Verlag, Zürich 1993. 434 Seiten, 42 Mark.

Den Schluß kann man getrost verraten. Er allein kann als Erklärung herhalten für dieses Buch. Da schreibt der Erzähler, ein nach Lage der Dinge eher untalentierter Autor, alles, was ihm widerfahren sei, ermögliche ihm nun, ein Buch zu schreiben, ‚dieses hier‘. Und es klingt, als würde sich Andrea de Carlo, ein nach bisheriger Erfahrung eher talentierter Autor, mit diesen letzten Worten noch schnell hinter seiner Konstruktion verschanzen. Der Schluß ist ein Sprung in den Schützengraben der Literatur.

Das unvollendete Romanmanuskript eines jungen Mailänder Journalisten landet bei einem berühmten Autor, der begeistert ist und fortan den jungen Mann protegiert. Er holt ihn nach Rom, verschafft ihm einen Job und einen Vorschuß, damit er sein Buch zu Ende schreiben kann. Das gelingt nur schleppend. Denn es fehlt an Inspiration und Konzentration. Die Aufmerksamkeit des Jungen gilt eher dem neuen Freund und vor allem einer neuen Frau, die ihm nicht mehr aus dem Kopf geht. Aber alles in allem wirkt er weniger verwirrt als verdrossen.

Dies ist ein bemerkenswert übellauniges Buch, miesepetrig bis zur Verbiesterung. Anders gesagt: Den Erzähler kotzt alles an. Ehe, Beruf, Gesellschaft, Leben, Welt. Alles. Man könnte das vornehm ennui nennen, wenn er eine Sprache für seine Ungeduld des Herzens besäße. Aber er kennt nur Ressentiments, Vorurteile, Platitüden. Was ihm zum Kulturbetrieb einfällt, ist genau das, was jedem einfällt: Schein statt Sein. Was sonst.

Einmal schreibt der Autor allen Ernstes von einer „wundervollen Stereoanlage“. Wundervoll. Und wenn er das Band mit der Stimme der Geliebten, die „die Anmut eines seltenen Tieres“ besitzt, abhört, klingt das so: „Ich sah sie wieder vor mir, so als hätte der Kassettenrekorder zusammen mit ihren Worten auch ihre Blicke und jede noch so kleine Bewegung aufgenommen.“ Ja, so ist das, wenn man jemanden vor sich sieht. Aber was sieht er eigentlich? Dafür hat er keine Worte. Hier nicht und anderswo auch nicht.

Natürlich protegiert der berühmte Kollege den Debütanten nur aus Eigennutz. Macht, wie zu erwarten war, aus dessen Manuskript ein eigenes Buch. Vielleicht ist das die Lösung. Andrea de Carlo, immerhin Autor von so flotten Büchern wie Creamtrain, Vögel in Käfigen und Volieren, Yucatan und Zwei von zwei, hat sich selbst das Manuskript eines Debütanten angeeignet. Und es als eigenes Buch ausgegeben. Es heißt: Techniken der Verführung.

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