02. Februar 1995 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Photographie, Rezension | David Lynch: Images

Man stelle sich folgende Szene vor: Auf der einen Seite sitzt Jay Leno, der amerikanische Talkmaster der Tonight Show, eine Art schwarzer Gottschalk, ganz witzig, ziemlich charmant, ein wenig unverbindlich und immer darauf aus, so zu tun, als seien alle eine große Familie. Auf der anderen Seite sitzt David Lynch, der amerikanische Regisseur von Filmen wie Blue Velvet oder Wild at Heart, der aussieht wie der Dekan irgendeiner Kirche, aber gewiß nicht deren Ansichten hat.

Wir stellen uns also vor, daß dies das amerikanische Fernsehen zur besten Sendezeit ist, und zwischen Talkmaster Leno und seinem Gast Lynch entspinnt sich folgender Dialog:

Jay Leno: Nun, reden wir doch über die Ausstellung in der Galerie.
David Lynch: Ich habe eine Ausstellung in der Galerie James Corcoran in Santa Monica, fünf Blocks vom Rande der Vereinigten Staaten entfernt.
Das wissen wir jetzt also. Worum geht es da?
Es ist eine Ausstellung von Gemälden, Zeichnungen und Photos.
Wir haben hier ein Photo…
Nein, nein, nein! Zeigen Sie das Photo noch nicht!
Ach so, in Ordnung, man muß wohl vorher etwas erklären.
Ich wollte Ihnen etwas über meine Ricky Boards erzählen. Mit dem Ricky Board läßt sich das Bee Board erklären, das Sie gleich sehen werden. Das Ricky Board ist meine Idee, wie immer man es bewerten mag. Also etwa das, was die Japaner vielleicht tun würden, um kontrollierte Zufälle in einer formalen Umgebung zu organisieren. Okay, also…
Ich komme nicht ganz mit…
Jetzt ist der Moment, es zu zeigen…Das ist ein Photo von einem Bee Board.
Ach, das sind ja Bienen.
Yeah. Bei den Ricky Boards machst du diese kleinen Frottagen, und du machst vier Reihen à fünf. Dann mußt du deinen Ricky benennen, und in diesem Fall sind es vier Reihen à fünf Bienen, und jede der Bienen hat einen Namen bekommen, wie Sie sehen. Ich dachte, es wäre interessant, eine Großaufnahme davon zu zeigen, und wenn Branford dann noch ein wenig Bienenmusik spielen würde, dann wäre das unglaublich phantastisch.
Sie haben recht. Es ist erstaunlich, was ein bißchen Musik ausmacht.

So weit, so phantastisch. Der Dialog zwischen den beiden findet sich in dem Buch „David Lynch: Images“ (Schirmer/ Mosel, 200 Seiten, 49,80 Mark) neben einem Bild eines sogenannten Bee Boards. Auf dieser Bienentafel sieht man zwanzig mit Nadeln befestigte Bienen auf weißem Grund, und darunter stehen ihre Namen: Don, Bing, Ronnie, Dougie, Riley, Garth, usw. Daran sieht man zweierlei: Daß erstens David Lynch als bildender Künstler genauso eigenartig ist wie als Regisseur; und daß es zweitens kein Wunder ist, wenn ein amerikanischer Talkmaster darauf ein bißchen verwirrt reagiert. Erstaunlich, was ein bißchen Musik ausmacht.

Das Buch versammelt also nicht nur Photos aus den Kurz-, Lang- und Fernsehfilmen, sondern zeigt David Lynch auch als Photographen, Maler und großen Humoristen. Die Obsessionen sind dieselben: Formen und ihre Deformierung, Oberflächen und ihre Innereien, Normalität und ihr Schrecken. Es gibt in seiner Welt nichts Abartigeres als das Normale, und nichts Normaleres als das Abartige. Dazu muß man sich nur mal seine Photos von Zündkerzen, Verteilern oder Zahnhygiene ansehen, die mit gespenstischer Nüchternheit zeigen, was ist – nicht mehr und nicht weniger. Und je näher das Objektiv an die technischen Objekte oder die Mundhöhle herangeht, desto bizarrer und unnatürlicher wirken sie. Genau davon handelt das Buch: Wie sich das Wesen der Dinge verändert, wenn man sie nur genau genug betrachtet. Selbst die harten Oberflächen von Verteilern werden dann auf einmal brüchig und scheinen dadurch, daß sie aus ihrem normalen Zusammenhang gerissen werden, einer Art inneren Verwesung anheimgefallen.

Ein paar Photos von einem schmelzenden Schneemann aus dem Städtchen Boise scheinen seine Phantasien genauso zu versinnbildlichen wie der Zigarettenrauch, der aus einem Frauenmund quillt und dabei fast so fest wirkt wie die Haut der Raucherin. Die Dinge entziehen sich dem unbefangenen Blick und verwandeln sich auf die gleiche Art, wie wenn Lynch aus einer Talkshow eine Performance macht. Durch sein unverdächtiges Äußeres und seine scheinbare Normalität schlüpft er sogar einem gewieften Talkmaster wie Jay Leno durch die Finger.

Am beeindruckendsten sind zwei Serien namens „Fish Kit“ und „Chicken Kit“, in denen einen Fisch beziehungsweise ein Huhn in seine Bestandteile zerlegt worden ist. Die Innereien sind ausgebreitet, zum Teil verschmiert und mit Sprüchen versehen. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Bausatz, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als reines Inferno. Und dabei entsteht der Eindruck, als gebe es nichts Schlimmeres als jene vermeintliche Ordnung, mit der Lynch Sinn in seinen Wahn zu bringen versucht. Ein wenig Bienenmusik wäre jetzt unglaublich phantastisch.

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