03. Februar 1990 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Dalva

Spurensuche ohne Illusion

Jim Harrisons "indianischer Roman"

JIM HARRISON: Dalva. Ein indianischer Sommer. Roman. Aus dem Amerikanischen von Hartmut Zahn. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach 1989. 475 Seiten, 38 Mark.

Ein indianischer Traum: Man müsse nur lange genug tanzen, damit sich die Erde wie eine Rassel schüttle und alle toten Krieger und Ahnen zu neuem Leben erwachen und große Büffelherden wieder die Prärie überfluten. Diesen Traum träumten die Sioux, als ihr Untergang schon nicht mehr aufzuhalten war, also etwa um 1890.

Eine schöne Vorstellung, die dieses Buch verbreitet: Daß nichts jemals völlig verschwunden ist. Die Vergangenheit haust in allen Ecken und Nischen des Buches und wartet auf ihren Auftritt im Rampenlicht der Erzählung. „Dalva“ ist eine Spurensuche, die ohne Illusionen auskommt. Was dabei zutage gefördert wird, sind tatsächlich nicht mehr als Spuren: Bruchstücke, Winzigkeiten, Ahnungen.

Dalvas Urgroßmutter war eine Sioux, ihr heimlicher Geliebter entstammte ebenfalls den Indianern. Das Kind, das sie von ihm bekam, hat sie weggeben müssen. Jetzt, fast dreißig Jahre später, will sie ihren verlorenen Sohn wiederfinden. Michael, Dalvas Geliebter, ist Historiker und geschieden. Er durchforstet für eine Abhandlung die Tagebuchaufzeichnungen von Dalvas Urgroßvater. Der zog im letzten Jahrhundert als Botaniker und Missionar durch die Lande, heiratete eine junge Schwedin, die Tuberkulose hatte und bald starb, und kämpfte schließlich für die Indianer, als er mit ansehen mußte, wie diese von den weißen Siedlern ausgerottet wurden.

Der Roman handelt von verlorenen Vätern und Müttern, Söhnen und Töchtern, von abgeschnittenen Traditionen und verschollenem Erbe. Er erzählt, wie sich ein Land seiner wahren Geschichte entfremdet hat, und also auch von der Einsamkeit der Menschen: „Das einzig gesicherte Erbe, was unseren Umgang mit diesem Land angeht, ist die Art und Weise, wie wir es ausplündern.“ Harrison schreibt gegen die offizielle Geschichtschreibung an, sein Roman trifft die Western-Romantik unter der Gürtellinie. Der Holocaust der Indianer liegt im Erdinneren der Welt von „Dalva“. Der Roman spielt an der Oberfläche, aber manchmal bricht aus der Tiefe dieses Erbe wie Lava hervor. Ein kurzer Ausbruch, ein kurzes Beben. Danach sind die kausalen Zusammenhänge etwas durcheinandergeschüttelt, und es dauert eine Weile, bis sie sich wieder in ihre alte Logik eingerenkt haben. Und mehr als diese Erschütterungen will Harrison seinem Thema auch gar nicht abgewinnen. Viel zu privat sind seine Geschichten, die um die Historie des Landes kreisen. Und doch kann keine die Schwerkraft dieses Kapitels amerikanischer Geschichte leugnen.

Menschen, um die Mitte des Lebens herum. Um den Punkt, wo die Zukunft nicht mehr so wichtig ist, und man vor allem mit der eigenen Vergangenheit ins Reine kommen will. In Dalva taucht ein verlorener Traum wieder auf: sie versuckt ihrem indianischen Erbe einen Weg zu bahnen und die Vergangenheit mit der Gegenwart auszusöhnen.

Aber während sich aus Dalvas Vergangenheit erst allmählich Stück um Stück löst, ist Michael von Anfang an sehr, präsent. Das Porträt des egozentrischen, kulinarischen Intellektuellen gelingt Harrison weitaus besser als die weitschweifige Spurensuche der Frau. Es gibt eine köstliche Szene, in der Michael einem jungen Mädchen verspricht, er könne ihr bei einem Freund eine Stelle als Mannequin verschaffen, müsse sie vorher jedoch erst begutachten: „Großartige Metatorsalia, schön geformte Kniekehlen, guter Gluteus Maximus“, urteilte ich sachkundig. Ich knetete ein bißchen ihre Pobacken, als suchte ich nach verborgenen Mängeln… Da ich in Naturwissenschaften nie sonderlich stark gewesen war, hatte ich mein gesamtes medizinisches Vokabular schon verpulvert. Kurzerhand murmelte ich ein paar Fachausdrücke aus der französischen Kochkunst. „Feines ris de veau“, sagte ich beispielsweise, nur einen Zungenschnalzer von ihrem Venushügel entfernt. Ihren Bauchnabel bezeichnete ich als beignets de bourgogne und ihre großen Titten als tête de veau. An dieser Stelle mußte ich mich abwenden, weil ich das Gefühl hatte, bei mir würden gleich sämtliche Sicherungen durchbrennen.“

Wo Harrison ungezwungen der Lust am Kulinarischen frönt; ist er am besten. Sonst läßt er seine erzählerischen Eskapaden allzuoft ausufern. Auf diese Weise bringt er zwar Vergangenheit und Gegenwart manchmal in wunderbar leuchtende Beziehung zueinander, verliert aber dabei genauso leicht den Überblick über seine Erzählung. Er läßt sich so viel Zeit mit allem, daß er sich am Ende geradezu beeilen muß, um noch alles unter Dach und Fach zu bringen. So eindrücklich die Naturschilderungen aus Nebraska, die Vergangenheitsbeschwörungen und Charakterzeichnungen auch sein mögen, gegen Schluß überkommt den allzuleichten Fabulierer Harrison eine gewisse Müdigkeit. Aber trotzdem bleibt diese Behendigkeit im Gedächtnis, mit der Harrison die Welt einfängt.

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