05. Februar 1990 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Rosamunde

Die Viererbande

Berlin in den Dreißigern: Egon Günthers Film ROSAMUNDE

Es gibt einiges zu sehen. Ein seltsam zielloser Reichtum durchzieht den Film. Ein Fesselballon mit aufgemaltem Hakenkreuz verfängt sich in einer Straße, schleift an den Fassaden entlang und fällt dann in sich zusammen. Vor Schreck steuert ein Milchmann seinen Wagen in ein Schaufenster. Für die Geschichte ist das nicht weiter von Belang, es passiert einfach. So wie ein anderes Mal ein losgelassener Schimmel durchs Bild trabt, verfolgt von seinem Besitzer, der sonst in dem Film keine Rolle spielt. Menschen, Ereignisse, Irritationen tauchen auf und gehen wieder unter im zerstreuten Blick der Kamera. Es sind kleine Sensationen am Rande des Geschehens, vermischte Nachrichten aus der Welt dieses Films, der so viel zu bieten hat, daß er nicht immer weiß, wohin damit.

Es gibt einiges zu sehen in ROSAMUNDE. Aber es wird nicht gezeigt, wie alles zusammenhängt. Die Dramaturgie wird bestimmt von einem wilden Assoziationstrieb und ungezügelter Schaulust. Eigentlich geht es um eine Bande vier arbeitsloser Jugendlicher im Berlin der frühen dreißiger Jahre, die den Sohn (Patrick Elias) eines jüdischen Bankiers entführen, um ans große Geld zu kommen. Statt dessen schweift der Film immer wieder ab, als mache ihn der Dilettantismus der Bande ungeduldig. Als sei er plötzlich zu der Überzeugung gelangt, daß es in dieser Stadt in jenen Jahren Interessanteres zu sehen gibt als ein paar Amateure und ihre billigen Traume.

Da ist zum Beispiel der jüdische Kommissar Jablonski (Manfred Krug), der eine Truppe von Transvestiten als Fahnder beschäftigt und selbst ganz gern Frauenkleider trägt. In einer telepathischen Sitzung kitzelt er aus seiner Cheftunte Blanche (Mathieu Carriere) mehr oder weniger die Lösung des Falles heraus. Bevor es jedoch daran geht, die Entführer zu stellen, verabschiedet er sich nach Amsterdam, der guten Gesundheit und eines Gefühls in der Magengrube wegen. Dem Vater des Entführten (Mario Adorf) schreibt er vorher noch einen Brief, in dem er ihm empfiehlt, den Kindern die zwei Millionen Lösegeld zu schenken und Ruhe zu geben. Wie sich die Figuren und der Film hier den Erfordernissen des Plots verweigern aus reiner Freude am Absonderlichen, das ist schon bemerkenswert. So seltsame Dinge waren im deutschen Kino schon lange nicht mehr zusehen.

Der DDR-Regisseur Egon Günther hat in seinen ersten westdeutschen Film eine Menge hineingesteckt: seine enorme Liebe zu der Stadt, seine faszinierte Neugier auf filmische Ausdrucksmöglichkeiten und seine Gabe, den Schauspielern Raum zu lassen in einer Vielzahl immer neuer Situationen. Dabei gelingen ihm ein paarschöne Momente und spannende Bilder. Aber man sieht dem Film auch an, daß er nur noch eine Ruine ist. Über drei Stunden lang soll die erste Fassung gewesen sein, weniger als zwei Stunden sind davon übriggeblieben. Es fehlt hinten und vorne an Übergängen, Verbindungen und Vertiefungen. Die Geschichte stockt und stolpert, gibt sich mal bodenständig und mal überhöht. Am Ende ist es dann doch die Viererbande (Anna Dobra, Richie Müller, Jürgen Vogel und Boris Koneczny), die durch ihr exzellentes Spiel den Film zusammenhält, weil sie ihm Präsenz verleiht, wo er sich zu verflüchtigen droht.

Und immer wenn man an dem Film zu verzweifeln droht, passiert wieder etwas Unvorhergesehenes: Ein blühender Ast eines Kirschbaums schlägt durch ein Fenster. Einfach so. Das passiert nicht oft im deutschen Kino.

(In München im Karlstor.)

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