09. Oktober 1997 | Süddeutsche Zeitung | Kunst, Rezension | Die Bilder des Malers Edward Hopper

Der amerikanische Freund

Wahlverwandtschaften: Edward Hopper und das Kino

Das Kino ist anfangs immer erst mal Verlockung, Verführung, Versprechen. Erst dann kommen die Filme selbst.

Manchmal begegnet man Bildern von Filmen, die man nie gesehen hat. Das Auge bleibt einen Moment länger als nötig hängen, erfaßt eine Spannung zwischen Figuren oder Formen, die etwas in Bewegung setzt. Man glaubt Gesten zu sehen, Gesprächsfetzen zu hören, einen Filmausschnitt zu erleben. Wenn man die Filme dann sieht, halten sie selten, was die Bilder verheißen.

Die Bilder des amerikanischen Malers Edward Hopper erzählen ihre eigenen Filmgeschichten. Manchmal glaubt man in ihnen Filme zu erkennen, die man gesehen hat; meistens erträumt man mit ihnen Filme, die es nie gegeben hat. So oder so sind sie wie Kino.

Hopper selbst war jedenfalls ein leidenschaftlicher Kinogeher, der 1959 ein obskures Werk namens The Savage Eye pries und davon sprach, wie gespannt er auf Jean-Luc Godards Außer Atem sei. Mehr weiß man nicht über seine Passion, und mehr ist vielleicht auch gar nicht nötig, um die Wechselwirkungen zwischen ihm und dem Kino zu klären, denen am vergangenen Wochenende ein Symposium in Mannheim nachforschte. Denn daß da eine Wahlverwandtschaft besteht, ist offensichtlich.

Der glühendste Verehrer des Malers unter den Regisseuren ist zweifellos Wim Wenders, der einmal gesagt hat: „Die Bilder von Edward Hopper sind auch Geschichtsanfänge. In die Tankstelle bei Hopper fährt gleich ein Auto ein, wo jemand am Steuer sitzt, der eine Schußwunde im Bauch hat. Es sind immer auch Anfänge von amerikanischen Filmen. ”

Bei Der amerikanische Freund hat er sich deshalb mit seinem Kameramann Robby Müller an Hopper orientiert, was sich vielleicht am meisten in den Farben niedergeschlagen hat, die in der Erinnerung ähnlich intensiv sind wie in Hoppers Gemälden. Und für seinen neuen Film Am Ende der Gewalt, der am 27. November ins Kino kommt, hat er sogar das wohl berühmteste Bild – „Nighthawks” (1942) – nachgestellt. Dasselbe Motiv findet sich auch in dem Musical Pennies from Heaven von Herbert Ross, aber auch da funktioniert das Bild eher als Hommage denn als echter Schauplatz.

Als „Bilder in Wartestellung” hat Wenders Hoppers Werke bezeichnet, „wo man wartet, daß es im nächsten Moment einen Ruck gibt und es sich verändert”. Aber gerade in so direkten Zitaten sieht man, was Hopper dem Kino voraus hat. Der Blick auf die Nachtschwärmer in dem Diner ist keine Einstellung, wie sie das Kino wirklich verwendet. Der establishing shot von Außen und die Großaufnahmen von Innen sind darin schon zusammengedacht. Das Kino würde die Szene in mindestens vier Einstellungen auflösen: Der Blick von Außen. Der Barkeeper bei der Arbeit. Das Paar, das sich nichts zu sagen hat. Der einsame Gast. Kein Stilleben, sondern eine Szene, die erst noch erfunden werden muß.

Wenders ist klug genug, das Diner nur als Kulisse auf einem Filmset zu verwenden. Denn er hat begriffen, daß die Welt bei Hopper stets bis zum äußersten verdichtete Realität ist: „Bilder wie Wackersteine. Gemauerte Bilder. Asphaltierte Bilder. Verglaste Bilder. ” Er ahnt, wie undurchdringlich diese Welt für die Filmkamera ist: Beim Versuch, diese Szenarien umzusetzen, stößt sie zwangsläufig an eine unsichtbare Mauer.

Hopper selbst hat im Kino womöglich seinen Blick geschult, aber belegt ist nur, daß sein Blick auf die Welt häufig dem des Reisenden durchs Zugfenster nachempfunden war: „Ich bin immer gern gereist und habe mich einer Großstadt immer gern mit dem Zug genähert. Man spürt ein wenig Angst oder Anspannung, und zugleich ein großes visuelles Interesse an dem, was man sieht. ”

Daß man diese Perspektive oft mit dem Kino verwechselt hat, mag daran liegen, daß es sich in beiden Fällen um einen vermittelten Blick handelt, der durch das Auge eines seelenlosen Transportmittels geht. Hier ist das Medium die Kamera, dort das Zugfenster. Der Eindruck von der Flüchtigkeit des vorüberfliegenden Betrachters, den Hoppers vermeintlich kinematographischste Bilder vermitteln, hat aber im Grunde nichts mit den Kompositionen des Kinos gemein. Er ist nur auf dieselbe Weise modern, weil er die Erfahrung unseres Jahrhunderts widerspiegelt, daß der Mensch als handelndes Subjekt aus dem Mittelpunkt der Abbildung verschwunden ist. Er ist nur noch eines von vielen Objekten, das verloren um ein leeres Zentrum kreist. Diese Einsamkeit ist es auch, von der die Films Noirs erzählen.

Hoppers Bilder wirken vor allem deshalb wie reine Kinematographie, weil der Maler verschiedene Perspektiven zu etwas verbindet, was mehr der Fiktion als der Realität zu verdanken scheint: den Blick des Zugreisenden mit dem des Kinogehers. Besonders New York Office oder Conference at Night sind nichts anderes als der Versuch, sich mit den Mitteln des Kinos in eine Welt hineinzuträumen, die man en passant wahrgenommen hat. Ein Blickwinkel, der sich vielleicht am genauesten in Hitchcocks Fenster zum Hof wiederfindet.

Natürlich lassen sich Parallelen auch bei Fritz Lang oder Douglas Sirk finden, die mitunter einen ähnlich topographischen Blick pflegten, und es gibt Einstellungen in Wylers Dodsworth oder Siodmaks The Killers, in denen die Gleichförmigkeit eigentlich kein Zufall sein kann, aber filmgeschichtlich ist Edward Hopper fast schon ein eigenes Kapitel wert.

Vielleicht gilt für Hopper, was Greenaway über Vermeer gesagt hat: daß seine Bilder eine Vierundzwanzigstel Sekunde seiner Zeit repräsentieren. So muß es sein: Am Ende schlagen die Bilder Hoppers eine Brücke von den Fiktionen des Kinos zur Wirklichkeit unseres Jahrhunderts.

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