11. Oktober 1997 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Die gesammelten Werke von Billy the Kid

Blut, Schweiß 
und Tränen

Ein frühes Werk von Michael 
Ondaatje endlich auf deutsch

Das Buch ist von 1970, und darin ist sozusagen schon die Saat ausgestreut, die in Ondaatjes späteren Werken so schillernde Blüten getrieben hat. Billy the Kid ist dabei nur ein Vorwand, um sich einen Westen zu erträumen, der so wild ist, daß dort alles zum Alptraum gerinnt. Was in der Legende den Geschmack von Freiheit, Weite und Abenteuer hat, verbreitet hier den süßlichen Geruch von Fäulnis, Tod und Verwesung. Das Bild vom todesmutigen Desperado wird zerfressen von blutigen Phantasien – auf diese Weise kommt Farbe in die Erinnerungen, die in schwarzweißen Dokumenten zu verblassen drohen.

Zehn Abbildungen finden sich in der Erzählung, aber was sie zeigen, macht nur die Blässe sichtbar, mit der diese Zeugnisse vor der Phantasie kapitulieren. Man sieht ein paar Soldaten im Vorbeigehen, ein Siedlerpaar, eine Holzhütte, eine Schlafstätte, ein paar zeitgenössische Illustrationen – lauter Bilder zwischen Schnappschuß und Pose, in denen sich das Abenteuer in einem Alltag verflüchtigt, vor dem unsere Vorstellungskraft versagt. Ondaatjes Imagination hingegen kommt dabei offenbar erst so richtig in Gang.

Wenn man so will, ist er seither seinen Methoden treu geblieben. Aus den alten Aufnahmen vom Brückenbau um die Jahrhundertwende in Toronto wurde der hinreißende Roman In der Haut eines Löwen, aus Bellocqs Photos vom French Quarter in New Orleans wurde Buddy Boldens Blues, und aus den trockenen Expeditionsberichten von Sahara-Forschern wurde Der englische Patient. Natürlich klebt der Autor Ondaatje nicht sklavisch an diesen Zeugnissen, sondern benutzt sie eher als Karabinerhaken, um sich in die Abgründe seiner Phantasie abzuseilen. Wo andere nur den Nebel der Vergangenheit sehen, da entdeckt er einen Einstieg in die Welt der Träume.

Bei „Billy the Kid“ findet der Kanadier allerdings noch nicht die Kraft, aus dem Erträumten einen eigenen großen Bogen zu spannen. Er sammelt nur auf, was an Strandgut an die Gestade seiner Einbildung geschwemmt wird: Gedichte und Anekdoten, Dokumente und Impressionen. Ondaatje bricht ein paar Puzzleteile aus jenem Bild, das wir sonst nur in Breitwand und Technicolor kennen. Und durch die entstandenen Löcher wird auf einmal etwas sichtbar, was sonst im großen Entwurf untergeht: ein Vorstellung von einem Alltag des Wilden Westens, der sich jeder Heroisierung entzieht.

Was sich sonst in einem größeren Zusammenhang als Bewegung der Landschaft einschreibt, wird hier auf einmal als Körper spürbar, der von sehr konkreten Empfindungen heimgesucht wird. Was man kennt, sind Bilder, „wo Körper ohne Geist sind wie Papierblumen, die du nicht fütterst und nicht tränkst” – dagegen setzt Ondaatje eine umso drastischere Darstellung von Leiden, Schmerzen, Verletzungen. Mit aller Macht scheint Ondaatje aus den vergilbten Bildern wie aus einer vertrockneten Zitrone Blut, Schweiß und Tränen pressen zu wollen. Und er ist der Mann, der auch die Sprachgewalt dazu besitzt, den Grausamkeiten Bilder abzutrotzen, die aus dem Morden eine schöne Kunst machen.

William Faulkner hat mal geschrieben, er habe durch eine Menge Dreck und Unrat waten müssen, um Schönheit zu finden, wo sie keiner vermutet hätte. Ähnlich macht es Michael Ondaatje, der hier knöcheltief durch Greuel watet. Es ist kein Zufall, daß aus einem seiner Romane ein Film entstanden ist, dessen Titelheld bis zur Unkenntlichkeit verbrannt in einem Bett liegt und der trotzdem ein Erfolg wurde. In „Billy the Kid“ kann man sehen, woraus sich solche Bilder speisen. Und welche Kraft es erfordert, dem Sterben solche Bilder abzugewinnen.

MICHAEL ONDAATJE: Die gesammelten Werke von Billy the Kid. Aus dem Englischen von Werner Herzog. Hanser Verlag, München 1997 . 144 Seiten, 10 Photos, 29,80 Mark.

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