01. Oktober 1990 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Mo‘ Better Blues

Je mehr, desto besser

Spike Lees Film MO' BETTER BLUES

Wenn du geschlagen wirst, empfahl Malcolm X, dann schlag zurück. Mit diesem Zitat endete Spike Lees letzter Film. Er hieß DO THE RIGT THING, und jeder schien zu wissen, was mit dieser Aufforderung gemeint ist. Die amerikanischen Kritiker befürchteten Rassenunruhen und hielten den Film für problematisch. Weiße Kritiker. Womit sie Lees Parabel über den alltäglichen Rassismus nur bestätigten.

Spike Lee sagte dazu in der englischen Filmzeitschrift Empire: „Einem weißen Publikum, daß sich Rambo ansieht, wird jederzeit genügend Intelligenz zugetraut, das Gesehene nicht sofort wörtlich zu nehmen – warum nicht auch dem schwarzen Publikum? Warum haben alle das Gefühl, Schwarze könnten nicht zwischen dem, was auf der Leinwand ist, und dem wirklichen Leben unterscheiden?“ Bezeichnenderweise ging dann auch der Oscar für den besten Film an DRIVING MISS DAISY, einen Film, der in erster Linie auf den bekannten Hierarchien zwischen Weiß und Schwarz im amerikanischen Kino aufbaute. Aber immerhin verließ Kim Basinger bei ihrer Ansage den vorgegebenen Text und monierte, daß der wichtigste Film des Jahres in dieser Kategorie nicht einmal nominiert worden war. Auf diese Weise wurde DO THE RIGHT THING irgendwie doch zum heimlichen Gewinner.

Von allen amerikanischen Regisseuren ist Spike Lee womöglich der interessanteste, weil am schwierigsten auszurechnende. SHE’S GOTTA HAVE IT, SCHOOL DAZE, DO THE RIGT THING und MO‘ BETTER BLUES leben von einer Spannung aus Einfallsreichtum und Kunstwitzen, stilistischer Selbstsicherheit und unbändiger Experimentierlust. Mit den beiden Regisseuren, die bei seiner Aufnahme in die Academy als Paten auftraten, Martin Scorsese und Paul Schrader, verbindet ihn dieselbe Mischung aus Explosi¬vität und Eleganz, Konsequenz und Ambivalenz, mit der sich ein präziser Blick auf die Wirklichkeit und ein sicheres Gespür für filmisches Erbe verbinden.

Was die Organisation des filmischen Blicks angeht, ist MO‘ BETTER BLUES sicher der brillanteste Film dieses Jahres aus Amerika. Nahezu jede Szene glänzt durch einen Einfall, wie sich die Bilder immer aufs neue lebendig gestalten lassen. Wenn der Film dennoch mitunter nicht nur cool, sondern auch ein wenig kühl wirkt, liegt das we’niger an übertriebener Stilisierung oder Virtuosität als am Helden der Geschichte.

MO‘ BETTER BLUES ist ein durch und durch egozentrischer Film. Das Zentrum aller Bilder ist Bleek Gilliam (Denzel Washington), ein begnadeter Trompeter, dem seine Lei-denschaft für den Jazz den Blick für seine Umwelt verstellt. Das einzige, was ihn wirklich berührt, ist seine Musik (eingespielt von dem Branford Marasalis Quartet mit Terence Blanchard). Irgendwie nimmt er die Auseinandersetzungen mit seinem Saxophonisten Shadow (Wesley Snipes), der Sängerin Clarke (Cynda Williams), der Lehrerin Indigo (Spikes Schwester Joei Lee), seinem Manager Giant (Lee selbst) und den Nachtclubbesitzern Fiatbush (John und Nicholas Turturro) nie ganz emst. Seinem zunehmenden Realitätsverlust begegnet er mit Arroganz, die Entwicklungen geraten außer Kontrolle. Seine Versäumnisse bemerkt er erst, als es zu spät ist, als die ganzen verdrängten Probleme und aufgeschobenen Entscheidungen mit einem Mal zusammenkommen und ihren Tribut fordern. Da liegt er dann mit zerschlagenen Lippen vor dem Bühnenausgang im Dreck, und seine Karriere ist zu Ende.

Spike Lee erzählt nichts von den Entstehungsbedingungen des Jazz, keine düstere Musikerbiographie, sondern eine Geschichte von Erfolg und Verblendung, von Demütigung und Demut. Und was die Kamera von Lees Stamm-Kameramann Ernest Dickerson dabei anstellt, ist wirklich in jedem Moment atemberaubend. Sie wählt überraschende Aufsichten, um Personen zu isolieren, und langsame Kranfahrten, um den Blick zu öffnen. Sie sucht Silhouetten, wann immer die Geschichte es erfordert, und bringt Farbe ins Spiel, um die Kontraste aufzubrechen.

Während Bleek zunächst für jede Bewegung Dreh- und Angelpunkt ist, wird spä¬ter seine Welt durch Reißschwenks zerrissen. Plötzlich geht ihm der Überblick verloren, und seine Wahrnehmung verschwimmt. Und der Schnitt bringt dabei auf einmal zwei Geschichten zusammen, so daß sich Bleek mit zwei Frauen im Bett wähnt. Die Virtuosität dient weniger dazu. kräftige Töne anzuschlagen, als den Blick auf die kleinen Unterschiede zu lenken. Wie Bleeks Bild immer mehr zur Pose erstarrt, sich immer mehr den Ikonen des Jazz angleicht, die als Plakate seine Wohnung schmücken. Und wie sich am Schluß die Anfangsszene wiederholt, in der ein kleiner Junge Trompete übt. Zu Beginn war es Bleek selbst, der nicht mit den anderen Kindern spielen durfte; am Ende ist es sein Sohn. Diesmal wird er von seinem Vater erlöst und nach draußen geschickt. Das hat er aus seiner Geschichte gelernt.

Ursprünglich sollte der Film A LOVE SURPREME, nach einem Album von John Coltrane heißen. Aber die Witwe hätte diesen Titel nur freigegeben, wenn Lee den Film von allen Flüchen und Obszönitäten gereinigt hätte. Das hat er nicht getan und statt dessen als Titel sein Lieblingswort für die Liebe gewählt: THE MO‘ BETTER. Es ist ein Blues daraus geworden.

(In München im Fantasia, Türkendolch und Karlstor, in einer Synchronisation, die wirklich so gut ist, wie bei einem schwarzen Film eben möglich. Und im Original in den Museums-Lichtspielen.)

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