25. August 1990 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Drei Uhr nachts

Ein Mann, der niemals wirklich gewinnt

Filmtip zum Wochenende

DREI UHR NACHTS – Jean-Pierre Melvilles Spielerfilm in SAT1

Paris im Morgengrauen. Einsame Spaziergänger, geschlossene Zeitungsstände, leere Brunnen, Bilder aus der Gegend um den Pigalle, dazu eine Stimme: „Montmatre in den wenigen Stunden, die die Nacht vom Morgen trennen. Hier und da noch ein paar Lichter, ein paar Takte Musik. Menschen, die zur Arbeit gehen und Men¬schen, die nichts zu tun haben…Fassaden, hinter denen es still geworden ist, und Fassaden, hinter denen die Nacht kein Ende findet.“

Dann sieht man Bob beim Würfeln verlieren. Er ist ein Mann, der den großen Coup schon längst hinter sich haben müßte, der aber lieber zeitlebens alles aufs Spiel gesetzt hat. Bob ist ein flambeur, ein Spieler. Das heißt, daß ein dummer Zufall am Ende genügt, um dem Schicksal eine besonders grausame Wendung zu geben. Bei Melville gewinnt der Mensch im Leben niemals – niemals wirklich.

Ob Deauville oder Longchamps, ob Roulette oder Pferderennen, ob Karten oder Würfel, Bob ist unverbesserlich. Das erste, was er nach seiner Heimkehr im Morgengrauen macht, ist, vor dem Schlafengehen noch Münzen in seinen Spielautomaten zu werfen. Später fragt Anne, deren Eskapaden er mit einem nachsichtigen Lächeln begleitet, nach: „Sie haben einen eigenen Spielautomaten?“ – „Das ist mein Hobby.“ – „Gewinnen Sie denn wenigstens?“ -„Niemals.“

Alles, was den späteren Melville auszeichnen wird, ist in diesem Film von 1955 schon drin: die ganze Ambiguität, die jedem Ding zwei Seiten verleiht. Und nie spielt es dabei eine Rolle, ob am Ende Kopf oder Zahl herauskommt. Weil das, was das Leben ausmacht, schon im Wurf allein liegt, in seiner Ausführung und den Hoffnungen, die ihn begleiten.

Volker Schlöndorff schrieb mal über den Melville jener Jahre, dessen Assistent er war: „Fast jede Nacht fuhr er so durch die Stadt, immer dieselben Stadtviertel aufsuchend, erst mal auf die Champs-Elysees, um zu sehen, vor welchem Film die längste Schlange stand, dann vorbei an der Madeleine, nicht ohne einen Blick auf die Nutten zu werfen – wobei er oft erzählte, wie er hier Isabelle Corey für BOB LE FLAMBEUR entdeckt, das heißt gesehen, angesprochenund engagiert hat -, dann über die Buttes Chaumont nach Norden auf die Schnellstraßen, in sein Brooklyn. Niemals hielt er an, um in eine Kneipe zu gehen. Langsam wie ein Kamerawagen fuhr er durch die Straßen und sprach von Filmen. Er fuhr auch oft allein. Wie gesagt, ohne Je anzuhalten, um in eine Kneipe zu gehen. Dazu war er zu scheu.“

(SAT 1, Samstag, 0.20 Uhr)

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