05. September 1990 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Liebe, Betrug und andere Leidenschaften

Doppelzweier ohne Steuermann

Jacky Cukiers LIEBE, BETRUG UND ANDERE LEIDENSCHAFTEN

Ein Flug über die nächtliche Stadt, ein Silvesterabend. Martin ist ein Franzose in London und fühlt sich schon aus rein statistischen Gründen etwas isoliert. Nicht die Abenteuerlust habe ihn dorthin getrieben, sagt er, sondern die Umstände. Er ist mit einer Engländerin verheiratet, die den merkwürdigen Namen Gert trägt. Aber mit ihr, meint Martin, würde man sich an alles gewöhnen. Zusammen gehen sie auf eine Silvester-Party, auf der ihr Schwärm Engelbert Humperdinck singt. Die Perspektiven sind etwas verschoben bei diesem Anfang: nicht viel, aber doch weit genug, um die Erwartung zu schüren, die Geschichte möge sich irgendwann einrenken.

Sylvester wird eine Enttäuschung, denn Martin fühlt sich einsam und Gert kann ihren Engelbert nicht in Ruhe genießen. Sie machen die Bekanntschaft eines verrückten jungen Paares, das sich mit kleinen Gaunereien durchs Leben stiehlt und auch sonst keine Verlegenheit kennt. Gert regt sich auf, Martin wartet erst einmal ab. Denn erstens sind die beiden auch Franzosen, und zweitens ist die Frau ausnehmend hübsch. Was sich zwischen den Vieren trotzdem entwickelt, ist nicht gerade ein amour fou, sondern mehr eine unversehene Lust am Neuen, eine milde Provokation der eigenen Lebensordnung.

Michel Blanc (MONSIEUR HIRE) und Frances Barber (SAMMY UND ROSIE TUN ES) spielen das Ehepaar, Jacques Dutronc (NACHTBLENDE) und die Schlagersängerin Lio (DER LÖWE) die alt gewordenen schrecklichen Kinder. Man sieht ihnen gerne zu, Blanc in seinem hilflosen Ernst und Dutronc in seiner verzweifelten Anarchie, aber Cukier gefällt sich bei seinem Erstling mitunter zu sehr in seinen Halbverrücktheiten, in seinen Provokationen mit beschränkter Haftung.

Am Ende erhebt er sein junges übermütiges Paar zum Prinzip Chaos, das das Schicksal für jeden von uns bereithält. Das ist die Sorte Poesie, die alles beansprucht, aber nichts kostet, und die den Figuren im nachhinein den Ernst und die Trauer abspricht, die sie streckenweise ausgezeichnet haben.

An Fitzgeralds teuflischen Paaren habe er sich orientiert, sagt Cukier, und am Humor von Singer, Bellow oder Roth. Und dazu kam eine große Bewunderung für die Ära des poetischen Realismus. Das ist von allem ein bißchen was, und im ganzen nie genug. Aber mit diesen Schauspielern gewöhnt man sich an alles.

(In München im Isabella.)

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