03. November 1998 | Süddeutsche Zeitung | Events | Hofer Filmtage 1998

Liebe kennt kein Gebot

Deutschland im Film: Der Alltag bei den 32. Internationalen Hofer Filmtagen

Autor: Martina Knoben

„It (n)ever rains in Hof” hatte eine örtliche Apotheke an ihr Schaufenster geschrieben und als Illustration eine kleine Wasserwand installiert. Es war kalt wie immer während der Filmtage und noch ein wenig feuchter und stürmischer als sonst. Nur in den Kinos gab es diese ganz eigene Hofer Mischung aus Nervosität und Nestwärme und zumindest in manchen deutschen Filmen die Sehnsucht nach der Hitze des Gefühls.

Man muß sich nur zwei Filme herauspicken, Nina Grosses „Feuerreiter” und Dominik Wesselys „Die Blume der Hausfrau”, um zu begreifen, was für einen Riesensatz das erfordert, der Banalität des deutschen Alltags zu entkommen. 200 Jahre hat Nina Grosse zwischen ihre Figuren und den Staubsaugervertretern in Wesselys Dokumentarfilm gelegt, um die Geschichte einer großen und unbedingten Leidenschaft auf die Leinwand zu bringen. Schön unbescheiden die Entscheidung, das grandiose Scheitern Friedrich Hölderlins zu inszenieren, schön unbescheiden auch das Vergnügen der Regisseurin an aufwendiger Ausstattung und hervorragenden Darstellern. Martin Feifel spielt Hölderlin gegen alle Erwartungen, vital und sexy; Marianne Denicourt (Rivettes Schlafwandlerin in „Vorsicht zerbrechlich”) ist Susette Gontard, Hölderlins bezaubernde Traum-Frau, deren Entscheidung für diese unlebbare Liebe allerdings nicht wirklich nachvollziehbar wird. Aufregend gierig, im Hintergrund, Nina Hoss, das Mädchen Rosemarie. „Liebe kennt kein Gebot” – diesen zentralen Satz des Films aber verkörpert Ulrich Matthes als Geliebter und Förderer des Dichters mit einer so abgründigen Leidenschaft, daß er die Leinwand immer wieder zum Glühen bringt. In dieser Figur, nicht in der Beziehung der beiden Hauptdarsteller, findet sich die große Asozialität dieses Satzes, auch die Unmenschlichkeit, die selbst den Geliebten verrät, um ihn zu besitzen. „Ich ahnte etwas von einer großen Passion, von einer Hitze des Gefühls, die uns Kindern des endenden 20. Jahrhunderts abhanden gekommen ist”, schreibt Nina Grosse im Presseheft zu ihrem Film – und landet mit ihrer Ablehnung des Alltäglichen im Niemalsland eines Kostümfilms, der trotz eindringlicher Momente schön und wirkungslos an uns vorrüberzieht.

Das Kontrastprogramm zu dieser fernen Leidenschaft ist in die „Die Blume der Hausfrau” von Dominik Wessely zu sehen, der fünf Staubsaugervertreter bei ihren Eroberungszügen durch deutsche Wohnungen begleitet. Verkäufertricks werden wie Feldherrnstrategien dargelegt; die Vertreter aber sind Einzelkämpfer, die nach Leistung bezahlt werden und entsprechend schamlos vorgehen. Was wir da erleben an Dummdreistigkeit, schmieriger Anbiederung und Überwältigung, dazu die miefigen Wohnungen der Besuchten, ihre Naivität und daß sie sich diese Verkaufsgespräche überhaupt gefallen lassen, nährt den Verdacht, daß im Herzen dieser Republik eine geistige Leere ist, eine Art schwarzes Loch der Dummheit, das einem das Fürchten lehren kann. Daß „Die Blume der Hausfrau” wie eine Karikaturensammlung daherkommt, verharmlost noch durch den schwäbischen Dialekt der Beteiligten, macht es dem Zuschauer allerdings leicht, sich vom Dargestellten zu distanzieren. Es wurde viel gelacht in diesem Film, ohne daß einem das Lachen zur Qual werden mußte. Man war auch in diesem Jahr als Zuschauer deutscher Filme wenig gefordert in Hof.

An den Darstellern liegt das am allerwenigsten; auch in diesem Jahr gilt, daß die Schauspieler meist besser sind, als die Filme, in denen sie spielen. Renée Soutendijk zum Beispiel in „Hauptsache Leben”, einer braven, vorhersehbaren Fernsehproduktion von Connie Walther zum Thema Brustkrebs. Ein Frauenfilm zu einem Frauenthema, der sich dann aber viel mit der Beziehung der Protagonistin zu zwei Männern beschäftigt, die die Regisseurin eigentlich gar nicht interessieren. Brav auch Lars Beckers Landeier-Komödie „Das Gelbe vom Ei”, in dem Meret Becker, Catrin Striebeck und Heike Makatsch die Geschichten nur erahnen lassen, die man mit ihnen hätte erzählen können. Und auch in „Glatteis” von Michael Gutmann müssen sich Günter Lamprecht, Hilde von Mieghem, Gottfried John und Elfriede Irrall durch Kriminalfallstrukturen arbeiten, ehe die Abgründe ihrer Figuren spürbar werden. Wieso in dem braven Hausmeister ein potentieller Killer steckt, müssen wir uns weitgehend selbst zusammenreimen.

Die Abgründe, das ganz Andere reizt die Regisseure schon sehr, ohne daß sie sich auf dessen Gefährlichkeit wirklich einlassen könnten. Die Dokumentation „Kopfleuchten” von Mischka Popp und Thomas Bergmann beschäftigt sich mit Menschen, die, wie man sagt, nicht mehr ganz richtig im Kopf sind. Menschen, die durch Unfall, Krankheit oder Operation Hirnschäden erlitten haben, Bewegungen nicht mehr wahrnehnmen können, von unkontrollierbaren Zuckungen und dem Zwang zu unflätigen Bemerkungen heimgesucht werden, die keine Worte mehr finden, kein Gedächtnis mehr haben oder eine Streichholzschachtel für einen Flaschenkühler halten. Die Kamera versucht, ihre Wahrnehmung der Welt wiederzugeben. Die Filmemacher sind fasziniert, werben für Toleranz und eine Vielfalt der Formen. Das fasziniert, erst im letzten Drittel langweilt der Film ein wenig durch Aufzählung. So gutmeinend aber ist dieser Film, daß er die Einsamkeit und das Leiden seiner Figuren auch immer wieder verharmlost.

Nur in die Nähe des Abgrunds traut sich auch Liliane Targownik mit „Rosenzweigs Freiheit”, der die Liebe eines Deutschen zu einer Vietnamesin, Ausländerfeindlichkeit und die Schwierigkeit zweier deutscher Juden, Enkel von Holocaust-Opfern, mit ihrer Vergangenheit zu einem Gerichtskrimi verquickt. Wie die Opfer mit ihrer Wut auf die Täter umgehen, untersucht die Regisseurin, sehr viel bescheidener als „Meschugge”, der ein verwandtes Thema hat, in eine Fernsehästhetik gezwängt, mit vielen Kompromissen und trotzdem fesselnd. Da ist viel zu viel Psychologie im Spiel, aber im Zentrum steht eine verbotene Frage: Haben die Opfer diesmal zurückgeschlagen?

Auch „Meschugge” von Dani Levy und Maria Schrader, eine Produktion von „x-filme”, die „Lola rennt” ins Kino gebracht hatte, beschäftigt sich mit dem Erbe des Dritten Reiches. Viel Feuer gleich zu Beginn, mit Wucht werden die Namen der Filmemacher auf die Leinwand geschleudert. Die Last deutscher Geschichte haben die beiden Filmemacher in Bewegung umgesetzt, das soll einen Strudel erzeugen, sieht aber oft nur hektisch und unnötig „modern” aus. Schicksalsschwer die Geschichte von Schuld und Liebe: Der Enkel einer aus Deutschland geflohenen Jüdin (Dani Levy) verliebt sich in die Enkelin eines Täters (Maria Schrader), deren Identität lange verborgen bleibt. Nur langsam kommt sie selbst, die sich doch so bindungslos fühlte, dahinter, erkennt, wie verstrickt sie ist in Geschichte, die immer auch Familiengeschichte ist. „Wir hatten niemals das Gefühl, eine politische oder geschichtliche Mission zu erfüllen”, hat Levy zu seinem Film gesagt. Und doch ist diese Versöhnung der Enkelgeneration so laut und groß inszeniert, daß man sich über die Anmaßung ärgern und das Selbstbewußtsein bewundern muß. Etwas mehr Distanz des Filmemachers Levy zum Schauspieler Levy hätte dem Film gutgetan. Aber obwohl man den Film nicht als gelungen bezeichnen kann, beeindrucken der Verzicht auf Wahrscheinlichkeit und der Mut der Filmemacher, sich selbst als Akteure einer historisch so schwergewichtigen Geschichte zu inszenieren.

Auch das konnte man bei den diesjährigen Hofer Filmtagen beobachten: Daß deutsche Filmemacher selbstbewußter geworden sind, was natürlich vor allem Tom Tykwer zu verdanken ist, der in diesem Jahr mit dem Filmpreis der Stadt Hof ausgezeichnet wurde. Tykwer habe gezeigt, was das Kino alles kann, hieß es in der Laudatio von Michael Althen. In den deutschen Filmen des diesjährigen Hofer Festivals war das immerhin zu ahnen.

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