03. Februar 2001 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Stefan Zweigs Briefe 1920 – 1931

Die Wärme des lebendigen Blutes

Zwei Zimmer, ein paar Cigarren, einmal Caféhaus am Tag: Stefan Zweigs Briefe 1920 - 1931

Wer in diese Briefe eintaucht, findet sich wieder auf einem fremden Planeten, dessen Bewohner ganz dem Geistigen hingegeben scheinen, einem Zutrauen an die Kraft der Kunst und Sprache der Herzen, das manchmal geradezu rührend ist. Eine Disziplin des Ausdrucks ist da am Werk, ein Wille, sich zu artikulieren und zu formulieren, der gegenwärtiges Schreiben wie Kauderwelsch klingen lässt. Aber womöglich sollte man es in diesen Dingen mit Zweig selbst halten, der schreibt: „Gegenwart leidet immer an einer merkwürdigen Weitsichtigkeit des Auges: man erkennt alle Größe in der Ferne, fühlt aber das Nahe nur verschwommen und ungewiß.”

Gegenwart sind für diesen dritten Band mit Briefen von Stefan Zweig die Jahre 1920 – 1931, in denen ihr Verfasser den Durchbruch schaffte, als Novellenschreiber, historischer Miniaturist, Verfasser von Biografien und Theaterautor: ’24 Stunden aus dem Leben einer Frau‘, ‚Angst und Verwirrung der Gefühle‘ entstanden unter anderem in diesen Jahren, die drei Essay-Triptychen über die Welt der Klassiker; die Biografien über Joseph Fouché und Marie Antoinette sowie die Ben-Jonson-Bearbeitung „Volpone“ und natürlich die „Sternstunden der Menschheit“.

Wir erleben also einen Künstler auf der Höhe seiner Schaffenskraft, einen Mann im fünften Lebensjahrzehnt, das er mit einem Brief an seinen Bruder Alfred anlässlich des eigenen 50. Geburtstags am 28. November 1931 versöhnlich, aber mit falschem Optimismus beschließt: „Ich lese eben in den deutschen Blättern ziemlich unverhüllte Dinge. Aber ich fühle mich notfalls noch frisch genug, den ganzen Hausrat wegzuschmeißen und noch einmal zu beginnen: als Söhne unseres Vaters haben wir von ihm eine gewisse persönliche Bedürfnislosigkeit gelernt. Ich könnte bequem in zwei Zimmern leben, ein paar Cigarren, einmal Caféhaus im Tag, mehr brauche ich eigentlich nicht. Deshalb ist es unnötig sich viel zu sorgen.”

Da sprach er sich selbst einen Mut zu, den er keine drei Jahre später schon dringend benötigte, als er nach England emigrieren musste, und der ihn dann auch weit trug, bis Brasilien, aber nicht weit genug, um dem Heimweh und der Sehnsucht und dem Krieg zu entfliehen. 1942 nahm er sich mit seiner Frau in Brasilien das Leben. Nur noch gute zehn Jahre blieben ihm also nach den letzten Briefen dieses Bandes – es ist wirklich zum Heulen. „Ich grüße alle meine Freunde”, hieß es in seinem Abschiedsbrief: „Mögen Sie die Morgenröte sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe Ihnen voraus.”

Man kann nicht behaupten, dass dieses Unheil den Briefen dieser Zwischenkriegsjahre nicht schon eingeschrieben wäre, und auch Zweig ahnt schon: „Vielleicht bin ich zu pessimistisch. Aber bis heute wurden unsere schwärzesten Vorhersagen immer von der Realität überrannt.” Das schrieb er 1921. Im Jahr darauf wurde sein Freund Rathenau ermordet: „Nie habe ich schwärzer gesehen als heute: die Tatsache, daß man weiterhin Jagd auf die Geister in Deutschland macht, wie auf Hasen… – das ist zu symptomatisch!” Und noch ein Jahr später: „Was sich in Deutschland abspielt, übertrifft die traurigsten Erwartungen. Wahnsinn über Wahnsinn!” Adressat der Briefe war jeweils Romain Rolland, der französische Schriftsteller und europäische Pazifist, mit dem Zweig seit 1910 (meistens auf französisch) korrespondierte und der ihm als Humanist großes Vorbild war: „Seine Güte”, schreibt er an Maxim Gorki, „seine Gerechtigkeit sind einzig auf dieser armen Erde, und er ringt diese Leidenschaft einem hinfälligen Körper ab.”

Man merkt schon diesen wenigen Worten an, mit welchem Überschwang er sich seinen Briefpartnern anvertraut, mit welcher Hingabe er sich in seine Gegenstände verbeißt. Was er als Entschuldigung, warum er keinen Aufsatz über Flaubert schreiben wolle, angeführt hat: dass er halbwegs gut nur dort schreibe, „wo ich passioniert für den Gegenstand bin”, das gilt für nahezu jedes Thema. Besonders seinen Antworten an die zahllosen Autoren, die ihm ihre Bücher zugesandt haben, ist jenseits aller Diplomatie anzumerken, wie sehr sich Zweig geradezu bemüht hat, sich in bestimmte Wahrnehmungen und Empfindungen hineinzusteigern.

Geradezu rührend ist es zu lesen, wie Zweig fast jedes Buch in die Sphären des Weltgeistes emporhebt, um dann die Aufmerksamkeit auf die ein oder andere Schwäche zu lenken. Und manchmal kleidet er eigene Zweifel in verlegerische Bedenken und schreibt einem Autor, dessen Werk er „Tiefe und oft erschütternde Menschlichkeit” bescheinigt: „Die Verleger haben eine ganz heidnische Angst vor allem, was dem Publikum nicht glatt entgegenkommt.” Hübsch gesagt. Oder einem anderen, in dessen Roman „eine Fülle von Leben und eine große Vielfalt” steckt: „Der moderne Leser ist ein rasches, oft kinomäßiges Tempo gewöhnt, und man erwartet gar nicht mehr Übergänge von einer Handlung, einem Bilde zum anderen, sondern kann sie ruhig aneinanderreihen ohne zwischen ihnen zu vermitteln.” Beiden Autoren empfiehlt er sanft, aber nachdrücklich, ihre Werke zu straffen und zu kürzen. Zweigs Talent, die innere Bewegung mit äußerem Fortgang zu verzahnen, besaß ohnehin keiner von ihnen.

Dies alles ist aber nur die eine, die offizielle Seite des Briefeschreibers Zweig – interessanter noch ist der privatere Tonfall, der dem etwas überspannt Weltgeistigen entzogen ist, jener Part also, wo man dem Briefeschreiber sozusagen über die Schulter schauen kann. Wobei man bei Zweig dazusagen muss, dass seine Lebenskunst ja gerade darin bestand, Freundschaften so zu knüpfen, dass sich Alltäglichkeit und Unsterblichkeit vermischen. Aber natürlich gab es jenseits der Ehrerbietung für Leute wie Freud oder Gorki auch intimere Briefe, an seine Frau Friderike oder an seinen Freund Victor Fleischer. Das ist ja gerade das Spannende an solchen Briefsammlungen, dass man stets versucht, aus dieser bei aller Regelmäßigkeit des Schreibens doch unzusammenhängenden Kette von Schriftstücken so etwas wie einen Lebenslauf zusammenzureimen; dass man quasi in die Lücken zwischen den Briefen hineinphantasiert, wie dieses Leben ausgesehen haben mag und welcher Mensch sich hinter diesem präzisen Seismografen des Herzens verborgen hat.

Da zeigt er sich hin- und hergerissen zwischen Geselligkeit und Menschenflucht, Euphorie und Müdigkeit, Pflichtbewusstsein und Freiheitsdrang. Gerne begibt er sich auf Reisen, noch lieber versteckt er sich dort in der Anonymität der Fremde. Der Erfolg hinterlässt erste Spuren – und das Alter macht ihm auch Gedanken: „Ich bräuchte eine Injection Ehrgeiz, Tatkraft, kurz eine Aufpulverung (man müßte sich verlieben und mit einem jungen Mädel drei Wochen reisen!) Der Ekel den ich vor der Literatur habe ist nicht zu schildern ” Da hat er dann schon einen ziemlich weiten Weg zurückgelegt, von dem jungen Mann der frühen Briefe, der sich nach Anerkennung und Aufnahme in den Kreis der Auserwählten sehnt, zu dem Mittvierziger, der an den weniger glücklichen Joseph Roth schreibt: „Ich schäme mich ein wenig vor Ihnen, daß mein Leben so glatt läuft, wo ich im tiefsten nicht nur keine Angst sondern ein geheimnisvolles Verlangen nach tragischen Erschütterungen habe.”

Natürlich neigt Zweig in den Momenten der Leere und Depression genau so zur Übertreibung wie im Überschwang – aber womöglich hat sich genau aus dieser extremen Spannkraft sein Werk gespeist, das so oft von Kontrollverlust und Fallenlassen handelt. „Manchmal kommt aus solchen Krisen was heraus”, schreibt er an seine Frau, „manchmal kommt man durch sie noch tiefer hinein – aber schließlich gehören sie zu einem dazu.”

Man darf gespannt sein auf den vierten und letzten Band dieser Edition, die im Anhang viele Antworten gibt, welche die Briefe offen lassen, die aber mitunter nervt durch ihre Art, Rechtschreibfehler mit Ausrufezeichen versehen zu belassen, Kommafehler jedoch zu ignorieren. Den ein oder anderen Brief hätte man auch faksimilieren können – vor allem bei einem leidenschaftlichen Autographensammler wie Zweig –, und darauf hinweisen können, wie groß eigentlich die Gesamtkorrespondenz war. So ist es mit diesen Briefen wie mit Eisbergen: Ein Teil der Persönlichkeit Stefan Zweigs ist sichtbar geworden – wie viel Prozent noch unter Wasser liegen, mag man nur erahnen.

Es gilt verstärkt, was schon Zweig bemängelte: „Diese edle, diese reine Kunst des Briefes scheint zu Ende zu gehen. Ihr erster Vernichter war die Zeitung, in der alles für alle geschrieben ist. Der zweite Vernichter war die Schreibmaschine, die das Wort entseelt und jenes geheime Bildnis, das jeder Mensch in seiner Schrift von sich gibt, wie hinter einem kalten Spiegel verschwinden läßt; die dritte Vernichtung kam vom Telefon, wo die Menschen nun mit der ihnen zugemessenen Hast alles einander berichten können, ehe es noch warm in das Innere, in das lebendige Blut gedrungen ist.” Wenn er gewusst hätte…

STEFAN ZWEIG: Briefe 1920 – 1931. Herausgegeben von Knut Beck und Jeffrey B. Berlin. S. Fischer. Frankfurt/M. 2000. 700 Seiten, 79,90 Mark.

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