18. Oktober 2000 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Der Teufel und Sonny Liston – Aufstieg und Fall einer Boxlegende

Die Linke war genug

Geboren mit den Augen eines Toten: Nick Tosches schreibt über den Teufel und Sonny Liston

Beginnen wir mit dem Tod: Der Boxer Charles L. Liston, genannt Sonny, wurde am 5. Januar 1971 von seiner Frau Geraldine, die ihre Familie in St. Louis besucht hatte, in seinem Haus in Las Vegas aufgefunden – er war vermutlich schon seit einer Woche tot, und sein Körper befand sich bereits im Zustand der Verwesung. Woran er gestorben war, konnte nicht mehr eindeutig festgestellt werden: eine Überdosis, eine Herzkrankheit – es schien auch keinen mehr zu interessieren. Nicht einmal sein exaktes Alter war bekannt: Er muss so um die fünfzig gewesen sein. Seinen Tod umgab die gleiche Leere, die auch sein Leben geprägt hatte. Oder wie es Nick Tosches ausdrückt: „Geboren mit den Augen eines Toten, tauschte er die Schrecken jener Zeit, von der die Narben auf seinem Rücken kündeten, gegen die Schrecken der kriminellen Unterwelt ein. Das Letzte, was seine Augen erblickten, war Dunkelheit. ”

Daran sieht man schon, was Tosches antreibt: ein Gefühl für die Schattenseiten des Rampenlichts, für die Nachtstunden einsamer Männer, für die starken Worte in schwachen Stunden, für die Ernüchterung nach großen Momenten. Nick Tosches hat bereits Biografien über Dean Martin und Jerry Lee Lewis verfasst sowie ein paar Kriminalromane über das organisierte Verbrechen, und hat sich als Autor für Vanity Fair hineingewühlt in die sonnenabgewandte Seite der amerikanischen Gesellschaft. Er ist ein Poet, der ein bisschen zu genau weiß, wie er seine Mittel einzusetzen hat, und ein Rechercheur, der sich ein bisschen zu häufig in den Abgründen seiner Detailwut verliert. Aber stets fördert er Dinge zutage, die anderen verborgen bleiben.

Dean Martin, Jerry Lee Lewis, Sonny Liston, das sind Männer, die sich um nichts in der Welt auf den Grund ihrer Seele blicken ließen und auch gar nicht gewusst hätten, wovon die Rede ist, wenn man sie danach gefragt hätte. Ihre Karrieren spielen sich vor allem in den Fünfzigern und frühen Sechzigern ab, in einer Zeit also, in der Amerika seine Unschuld vorgeblich noch nicht verloren hatte – und natürlich beweisen diese drei Lebensgeschichten das Gegenteil. Die Leute und ihr Land waren damals schon genauso versaut und korrupt wie heute.

Wenn Tosches nun also die Geschichte des schwarzen Boxers Sonny Liston erzählt, dann darf man davon gerade nicht jene Boxromantik erwarten, die so viele Poeten an den Ring getrieben hat. Wo David Remnick in seiner Biografie von Muhammad Ali noch das schöne Zitat ausgegraben hat, wonach Liston gesagt haben soll „Irgendwann schreibt einer mal einen Bluessong nur für Boxer: für langsame Gitarre, leise Trompete und einen Gong”, da kommen diese Worte bei Tosches noch nicht einmal vor. Kein Wunder, ihm geht es darum nachzuweisen, dass das Boxen in den Händen der Mafia lag und nur eine moderne Form der Sklaverei ist – und außerdem hasst er die Intellektuellen, die sich am Faustkampf schadlos halten.

Keine Poesie von Liston also – höchstens von Tosches selbst. Zum Beispiel so: „Sonny war irgendwann 1929 oder 1930 aus der Savanne und den Kiefernwäldern in ein von Alltagstrott geprägtes Schicksal hineingeboren worden, und dies auf einem Stück sandigen Land, auf dem nichts gedieh – weder Baumwolle, noch Liebe, noch Hoffnung. ” Tosches beschreibt ausführlich Listons dunkle Abstammung, ein Stammbaum aus Generationen von Sklaverei, und genauso ausführlich stellt er dar, wie dubiose Manager, Geldgeber und Drahtzieher später eine neue Form der Abhängigkeit schufen, die aus diesem Tier von einem Mann eine Marionette machte.

Liston kam vom Land, hasste die Feldarbeit, ging nach St. Louis, verdiente Geld mit kleinen Überfällen, wanderte ins Gefängnis, begann zu boxen, landete in Chicago, verprügelte seine Gegner und wurde 1962 gegen Floyd Patterson Schwergewichtsweltmeister. Aber als Held bleibt er in diesem Buch im Dunklen, ein Mann, der nicht lesen konnte und zum Sprechen auch keine Lust hatte – umso beredter sind die Aussagen aus seinem Umfeld. Nicht zu reden vom Schweigen der Hintermänner vor den Untersuchungsausschüssen über organisiertes Verbrechen. Tatsache ist, dass Tosches genügend Belege zu haben glaubt, dass die beiden Niederlagen gegen Cassius Clay bzw. Muhammad Ali Ergebnis von Schiebungen waren. Wer auf eine Niederlage des viel schlagstärkeren Liston setzte, konnte viel Geld verdienen – und bestimmte Leute haben es auch verdient.

Der Sieg gegen Liston war die Geburtsstunde des Boxers als Medienstar – und Tosches verhehlt seine Antipathien dem Großmaul Ali gegenüber keine Zeile lang. Der Kampf zwischen ihm und Liston war wie schon der gegen Patterson zum Krieg zwischen Gut und Böse hochstilisiert worden. Und Liston mit seinen zahllosen Verhaftungen wegen Raub, Vergewaltigung und Trunkenheit war definitiv das verkörperte Böse. Tosches liegt nichts daran, in seinem Helden einen neuen Heiligen zu finden. Er plädiert lediglich dafür, dass der Mann den Unterschied zwischen Gut und Böse gar nicht kannte – er wandte nur an, was er auf der Straße gelernt hatte: das Recht des Stärkeren. Vom Vater verdroschen, von der Welt ausgenutzt, aber mit einer so starken Linken versehen, dass er es sich leisten konnte, die Rechte nur in Ausnahmefällen einzusetzen. Und die einzigen Menschen, mit denen sich Sonny instinktiv verstand, waren Kinder. Und wenn diese verdammt traurige Geschichte etwas auszeichnet, dann die Tatsache, dass Nick Tosches keinen Moment lang zulässt, dass wir uns über den Lauf der Welt irgendwelchen Illusionen hingeben.

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