31. Juli 1999 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Julio Cortázar

Flaschenpost von Cortázar

Endlich nachgeliefert: "Andrés Favas Tagebuch" von Julio Cortázar

Spät kommt dieses Buch. Fast wirkt es wie eine Flaschenpost, die der Autor in seinen frühen Tagen abgeschickt hat und die erst jetzt, lange nach seinem Tod, an unseren Strand gespült wird. Man muß sich deshalb hüten, die Figur mit ihrem Autor zu verwechseln. Andrés Fava ist einer der Helden in Cortázars Roman El examen, der 1950 verfaßt, aber erst 1986 postum erschienen ist – und zwar ohne jenes Tagebuch des Helden. Man muß sich dennoch immer wieder zur Ordnung rufen, um das Ganze nicht für Cortázars eigenes Tagebuch zu halten.

Andererseits lesen sich Favas Einträge, in denen die meiste Zeit von Schreiben und Sprache, Lesen und Erzählen die Rede ist, tatsächlich wie ein Versprechen auf die Zukunft Cortázars. Vieles von dem, was der Held in seinen Aufzeichnungen andenkt, hat sein Erfinder später verwirklicht, sei es in seinen famosen Erzählungen, sei es in seinen labyrinthischen Romanen. So liest sich das Ganze heute fast wie der Bauplan einer schriftstellerischen Karriere, die nach lateinamerikanischer Art natürlich ein reichlich verschachtelter Palast war.

Vielleicht, so schreibt er, „ist dieses Tagebuch eine argentinische Beschäftigung; wie das Café, die Frauen in der Schlange und die sanfte Tristesse”. Wahrscheinlich kam ihm die Form tatsächlich gelegen, weil er sich darin abreagieren konnte, Ballast abladen, der ihm die Feder verstopfte: Träume und Anekdoten, Wortspiele und Aphorismen, Überzeugungen und Zweifel. Und wahrscheinlich ist genau das der Grund, warum das Tagebuch in den späteren Roman keinen Eingang fand – es zerfasert und zerfleddert an allen Ecken und Enden. Wie es sich für ein Tagebuch auch gehört.

Die Surrealisten hätten selbstverständlich ihre Freude gehabt an Cortázars zärtlich verschlungenen Pfaden durch jenes Reich, wo sich die Sprache von den Dingen langsam ablöst, durch das, was der Autor „Verwesung der Prosa” nennt. Man kann erleben, wie dem Mann mit südamerikanischer Verspätung die Worte wie modrige Pilze im Munde zerfallen. Und was hier noch als Tücke der Sprache daherkommt, das wurde später in Cortázars Erzählungen die Tücke der Objekte, die ihr Eigenleben führen. Und aus der Ferne glaubt man die Musik eines Tangos zu hören, die von all diesen Problemen nichts weiß und doch von jener sanften Tristesse durchzogen ist, die Cortázars Texte so anziehend macht.

JULIO CORTAZAR: Andrés Favas Tagebuch. Aus dem Spanischen von Gisbert Haefs. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1999. 122 Seiten, 19,80 Mark.

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