Die Symphonien der Berge
Das Münchner Stadtmuseum erinnert an den Filmpionier Dr. Arnold Fanck: Eine Ausstellung, eine Retrospektive und ein Buch
Es mag andere vor und um ihn gegeben haben, aber Arnold Fanck war es, der das Hochgebirge für den Massengeschmack filmisch erschlossen hat. Der Tourismus folgte ihm praktisch auf dem Fuße. So stellt es wenigstens die Ausstellung dar, die von morgen an im Münchner Stadtmuseum zu sehen ist, weil nur unter dieser Auflage Fancks Enkel dem Stadtmuseum den Nachlaß seines Großvaters überließ. Aber natürlich ist so ein Geschäft um so weniger nur Pflicht, als Fanck nicht nur Begründer eines genuin deutschen Filmgenres war, sondern auch eine reichlich bewegte Karriere hatte. Ein Gipfelstürmer wie er mußte sie am Ende als einzige Talfahrt begreifen.
Daß heute seine Schüler Luis Trenker und Leni Riefenstahl weitaus bekannter sind als Fanck, liegt daran, daß sie ihre Lektionen offenbar bestens gelernt haben. Beide kamen buchstäblich als Fans von Fanck zum Film. Trenker hatte für Berg des Schicksals einen Finanzier beigesteuert, mit dem er eigentlich seinen ersten eigenen Bergfilm machen wollte; die Riefenstahl sieht am Bahnhof ein Plakat desselben Films und dient sich Fanck an. Der schreibt für die junge Tänzerin die Hauptrolle in Der heilige Berg, und schon bald kommt es zu heftigen Eifersuchtsszenen zwischen den dreien, in deren Verlauf Fanck sich in einen Eisbach stürzt. Trenker prozessiert später mit Fanck und nennt die Riefenstahl nur noch „ölige Ziege”. Dreiecksgeschichten liegen dem Bergfilm schon aus rein geometrischen Gründen.
Fancks kinematographische Hingabe an den Alpinismus hat durchaus biographische Ursachen. Bis zu seinem zehnten Lebensjahr litt der Junge an schweren Asthma und konnte kaum gehen, als er zur Erholung nach Davos geschickt wurde. Vom ersten Tag an trat dort eine Besserung ein, und der junge Arnold wußte fortan, welches Wunder er den Bergen zu verdanken hatte. Die erstmalige Erfahrung von Körper und Stärke kann man als Narzißmus oder Erotik, das spirituelle Erlebnis als nahezu religiöse Naturverehrung in den Bergfilmen wiederfinden. Seine ersten Arbeiten in den Zwanzigern hießen Das Wunder des Schneeschuhs oder Im Kampf mit dem Berge – Eine Alpensymphonie in Bildern.
Alles im Bergfilm kündete vom unverfälschten Naturerlebnis, aber schon der Ausdruck Symphonie in diesem Zusammenhang deutet auf jene Art von Gestaltung hin, mit der auch Walter Ruttmann zur selben Zeit die Großstadt als symphonische Dichtung in den Griff zu bekommen versuchte. Da tut sich in diesem Genre eine ganze Gletscherspalte auf zwischen Entstehung und Ergebnis, Einstellung und Erlebnis, eine Kluft, die Ulrich Kurowski in der Bemerkung, Natur werde bei Fanck zur Architektur, auf den Punkt gebracht hat. Zeitlebens hat Fanck in gefürchtet langen Leserbriefen einen Kampf gegen alpinistische Kritiker gefochten, die seinen Filmen mangelnde Authentizität vorwarfen.
Aus seiner Warte mochte er recht haben, weil hinter jeder Einstellung die waghalsige, entbehrungsreiche Arbeit eines echten Alpinisten gestanden hat. Aber letztlich ging es ihm doch vor allem um die Wirkung der Natur, also um eine Vermittlung, die bei den einen als Kunst, bei den anderen als gekünstelt ankam. Thomas Brandlmeier schreibt in einem klugen Essay im Katalog zur Ausstellung (Berge, Licht und Traum – Dr. Arnold Fanck und der deutsche Bergfilm. Bruckmann. 256 Seiten, 49,80 Mark) über diese Beziehung zwischen der Natur und ihrem Abbild in den Künsten und schildert Fanck in diesem Senario als modernen Parzival: „Zu keinem Zeitpunkt hatte sich die Entfremdung und Ideologisierung von Natur in einem solchen Ausmaß zugespitzt. ”
Auch Fancks Filme waren in diesem Sinne Gratwanderungen: Je bewundernswerter die sportlichen Leistungen waren, desto körperloser, unnatürlicher wurden die Bilder. So treffen sich im Bergfilm das Konkrete und das Abstrakte, Gletscherwelt und Geometrie. Die Riefenstahl hat ihre alpinen Gralswelten für Das blaue Licht lieber gleich im Studio bauen lassen.
Man fragt sich, was den Bergfilm von anderen Genres unterscheidet, die auch mit der Natur rechnen. Anders als der Western oder der Heimatfilm war dem Bergfilm die Natur nie nur Kulisse, sondern immer Hauptdarsteller. Wenn der Berg rief, dann ähnelte die Wirkung eher dem Horrorfilm. Denn wie dort ist die Außenwelt vor allem Projektion innerer Vorgänge, eine Veräußerung tiefsitzender Ängste und Sehnsüchte. Die weiße Hölle vom Piz Palü oder Die Stürme über dem Montblanc sind die unbekannten Kräfte, die im Herzen wüten.
Man ist auch heute noch wie Kracauer oder Eisner geneigt, Fanck als faschistischen Vor- und Mitläufer abzutun und in seinen Filmen die Bebilderungen reaktionärer Sehnsüchte zu sehen. Dabei machten seine Filme keineswegs nur auf die Rechten Eindruck. Er wurde durchaus als der Pionier begriffen, der er in technischer Hinsicht durchaus war. Und die Tatsache, daß er ein Deutschtümler und Antisemit war, wie er im Buche steht, verhinderte nicht, daß er sich für den Geschmack des Dritten Reichs zu unabhängig gebärdete und nie so recht einen Fuß auf den Boden brachte.
Sein Opportunismus kam zu spät oder nicht zur rechten Zeit – selbst sein bizarrer Versuch, mit Die Tochter des Samurai aus der japanischen Koalition Kapital zu schlagen, scheiterte –, und außer ein paar Auftragsarbeiten sprang für ihn nicht viel heraus. Nach dem Krieg wurde er mehr oder minder durchgefüttert und endete als der pfeiferauchende Großvater, als den ihn sein Enkel im Katalog beschreibt: Ein Mann, der stundenlang von Abenteuern in den Alpen, in Patagonien und Grönland erzählen konnte. Das ist nur eine halbe, aber immerhin eine Wahrheit.
MICHAEL ALTHEN