13. Februar 1998 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Catherine Deneuve

Zu schön, um nah zu sein

Perfektion ist Provokation – Catherine Deneuve kriegt einen Goldenen Berliner Bären, ehrenhalber

Wenn es je eine Frau gegeben hat, die zu schön ist, dann sie. Vielleicht sogar fürs Kino eine Spur zu schön.

François Truffaut hat 1969 geschrieben: „Letztes Jahr wurde Catherine Deneuve in dem amerikanischen Magazin Look als ,schönste Frau der Welt‘ bezeichnet. Schön ist Catherine Deneuve in der Tat, und zwar in einem Maße, daß jeder Film, dessen Heldin sie ist, im Grunde auf eine Story verzichten kann. Ich bin überzeugt, daß der Zuschauer schon glücklich wäre, sie einfach nur betrachten zu können, und daß allein diese Betrachtung ihr Geld wert ist.”

Ihr Ebenmaß fordert den Exzeß geradezu heraus. So jemand kostet von allen Lastern einmal und wendet sich dann ab. Vor ihrem Leben versagt jede Vorstellungskraft. Eine große Langeweile umgibt sie deshalb manchmal. Was mag sie machen in den Salons, durch die sie wandelt? Die Etikette verfolgt sie in den Schlaf. Wovon träumt sie, von geometrischer Perfektion oder fleischlichen Vergehen?

Perfektion ist immer ein Frevel gegen die Gesetze des Kinos. Aber ihre Augen erzählen davon, daß sie all dies weiß. All die Erwägungen, ihre Schönheit betreffend, sind ihr bewußt. Tausendmal besungen, nie auch nur ans Herz gerührt. Im Grunde ist diese Schönheit nur als Fluch denkbar. Dauernd unterwegs als Botschafterin einer Sache, für die sie selbst am wenigsten kann.

Wer über sie nachdenkt, stellt sich unbewußt die Frage: Hat Catherine Deneuve die Versprechen, die ihre Erscheinung formuliert, eingelöst? In gewisser Weise hat ihre Karriere nicht gehalten, was diese Schönheit verspricht. In anderer Hinsicht hat sie jedoch viel mehr erreicht, als zu erwarten war. In dieser Spannung muß man ihre Filme betrachten. Genug ist nie genug. Sie ist immer zu wenig und zu viel zugleich. Enttäuschung und Überraschung. Was die Bilder zeigen, deckt sich nie mit der Erinnerung. Und die Erinnerung wird stets überfordert von dem, was man sieht. Dabei staunt man immer wieder, um wieviel lebendiger sie ist als die marmorne Erscheinung, die sich der Erinnerung eingemeißelt hat. Aber das ist auch kein Wunder, nachdem sie Brigitte Bardot als Verkörperung der Marianne abgelöst hat und jetzt in jedem französischen Rathaus eine Büste nach ihrem Vorbild steht.

Man darf nicht vergessen, daß sie sich selbst nach wie vor Dorléac nennt und Deneuve nur als Künstlernamen begreift. Diese Trennung ist ihr wichtig. Und vielleicht spielt in diesem Zusammenhang auch eine Rolle, daß sie nicht von Natur aus Blondine ist. Die Blondheit ist sozusagen eine bewußte künstlerische Entscheidung. Und sie trägt diese Haare wie eine Krone. Aber an der Augenpartie kann man sehen, daß sie dunkler ist, als sie tut.

Vergangenes Jahr hat sie nach drei Jahrzehnten des Schweigens ein Buch über ihre früh verstorbene, von ihr maßlos bewunderte ältere Schwester, die Schauspielerin Françoise Dorléac, veröffentlicht. Es ist durchaus bezeichnend, daß sie die Schwester als Spiegel benutzt – wie die Königin im Märchen –, weil deren Schönheit all das besaß, was ihrem Antlitz im Grunde abgeht: Wärme und Weichheit, den Geruch von Haut am Morgen und der Hauch eines Lächelns beim Abschied. Es ist ein bißchen langweilig, auf die Frage, wer ist die Schönste im ganzen Land ist, jedesmal die gleiche Antwort zu erhalten: „Ihr, meine Königin, seid die Schönste im ganzen Land. ” Die tote Schwester garantierte wenigstens noch den Zusatz: „Aber hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen gibt es eine, die ist noch viel schöner als Ihr. ” Und Catherine ist wahrscheinlich die einzige, die an dieses Märchen wirklich geglaubt hat.

Eine große Trägheit ist um sie herum, als wäre das Wasser des reißenden Erzählstroms dort, wo sie ist, ruhiger, weniger bewegt. Vielleicht kam das einem Surrealisten wie Buñuel, der an die Kraft der singulären Tat glaubt, entgegen: Ihr Gleichmut ist eine Provokation. Ihre Neugier ist nur getarntes Desinteresse. Oder umgekehrt. Nochmal Truffaut: „Catherine ist wie Greta Garbo eine Zeitlupen-Schauspielerin. Manche Schauspielerinnen bewegen sich zuviel und bringen den Rhythmus eines Films durcheinander. Catherine ist hingegen langsam; manchmal habe ich sie gebeten, etwas lebendiger zu sein, aber in der Regel habe ich ihre Ruhe, die jeder Szene ihre eigene Dichte verleiht, geschätzt. ”

Was ist? Schlafen Sie?

Roman Polanski hat mit REPULSION (EKEL) die Tiefe jenes stillen Wassers zu ergründen versucht. Schon die erste Frage an die gedankenverlorene Maniküre lautet: „Was ist? Schlafen Sie?” Tatsächlich scheint sie sich in einer Traumzeit zu bewegen, die mit dem betriebsamen, vergnügungssüchtigen London jener Jahre nichts zu tun hat. Man hat den Eindruck, um sie herum verstreiche die Zeit langsamer, laufe gar rückwärts.

Bei all der Unnahbarkeit und natürlichen Noblesse: In der Art, wie sie auf ihre Façon achtet, liegt auch eine Spur von Gewöhnlichkeit, die unter ihrem Adel kaum merklich durchscheint. Vielleicht ist es das, was Truffaut meint, wenn er spricht vom „Naturell der Nachkriegsmädchen, die durch nichts zu beeindrucken sind und eine gewisse Scham besitzen, die es ihnen unmöglich macht, sich völlig hinzugeben.” Da hat sie dann jedenfalls etwas von der gewollten Perfektion der Ladenmädchen, die sich nicht in die Karten blicken lassen wollen. Die ihre Spur verwischen, ihre Herkunft verschleiern, sich wie Larven verpuppen, in der Hoffnung, daß jemand einen Schmetterling erkennt, wo nur ein kaltes Herz wohnt.

Im Grunde ist es ganz einerlei, welche Filme man heranzieht, um ihr Bild zu beschwören. Natürlich gibt es bessere und schlechtere, aber wie in einem zerbrochenen Spiegel reflektiert jede einzelne Scherbe stets das ganze Bild. So manifestiert sich auch in eher mittelmäßigen Filmen ein Talent, das den speziellen Erfordernissen des Kinos entgegenkommt. Das führt dazu, daß man sich bei ihr im Unterschied zu anderen Schauspielerinnen kaum Rollen vorstellen kann, in denen man sie gerne gesehen hätte. Wenn Truffaut in einem Brief schreibt, daß Warner Bros. nach GEHEIMNIS DER FALSCHEN BRAUT bei ihm angefragt hat, ob er nicht ein Remake von CASABLANCA mit Belmondo und Deneuve drehen wolle, dann gibt das keinen Stich des Bedauerns.

Unter der marmornen Ruhe, dem abschätzigen Blick, dem hochmütigen Lächeln liegt doch immer eine spürbare Nervosität, jene unerklärliche Unzufriedenheit schöner Frauen, die jederzeit umschlagen kann in Gefühlsausbrüche, die nur dazu da sind, Ursachen zu verschleiern. Man hat deshalb eigentlich nie den Eindruck, es handle sich bei ihr um eine glückliche Frau, sondern um jemanden, der auf der Suche ist, ohne zu wissen, wonach. Sicher ist nur, daß Männer ihr nicht geben können, was ihr fehlt.

Es liegt – und vielleicht muß das bei Frauen dieser Statur so sein – etwas zutiefst Destruktives in den Geschichten, die sie sich aussucht. Nicht ein Hauch von Zärtlichkeit, sondern ein Hang zum Unglück, mit dem sie sich selbst bestraft. Wofür, das wird sie wohl selbst kaum wissen. Aber sie hat – dieser Eindruck entsteht bei der Lektüre ihres Buches über die ältere Schwester – viel von dieser namenlosen Schuld auf den Tod von Françoise projiziert. Und am Ende ist es natürlich genau diese Ausstrahlung von Unzufriedenheit, welche ihren Bewunderern suggeriert, sie warte noch auf den Richtigen. Darin liegt die Provokation ihres Images. Sie wirkt irgendwie unbefriedigt, und der Irrtum der Männer ist es, diesen Mangel nur neurotisch interpretieren zu wollen, wo es doch eigentlich darum geht, Frieden zu finden. Aber den, so will es ein anderes Gesetz des Kinos, gibt es nur im Tod.

Catherine Deneuve hat einmal ihre Scheu vor allzu realistischen Rollen eigentümlich begründet: „Ich hatte eine physische Barriere. Das ist eine Frage der Physiologie, der Gesichtsmuskulatur, der Art, das Licht aufzunehmen. ” Daß es vielleicht eine psychische Frage, eine Sache des Herzens sein könnte, wäre eine Erkenntnis, mit der sie naturgemäß nicht an die Öffentlichkeit geht.

Diese Abwehr allzu großer Wirklichkeitsnähe mag von einer Empfindung der Leere herrühren. Als befürchte sie Enttarnung, wenn ihr das Kino und die Kamera zu sehr auf den Leib rücken. Da stapelt Deneuve tief, weil sie glaubt, sie besäße keine der Tugenden, die Schauspieler gemeinhin auszeichnen. Dabei hat sie all die anderen Qualitäten, die dem Kino seinen eigenen Zauber verleihen: Photogenität, Präsenz, Intelligenz. Die Kamera sieht, was ihr die Spiegel nicht zeigen können. Und das ist genau das Gegenteil von dem, was jener Spruch besagt, wonach gilt: Beauty is only skin deep.

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